Reiseberichte und Werbung für Stalin

Tourismusarchiv mit neuem Zuhause

  • Anja Sokolow, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.

Fernzüge starten am Bahnhof Zoo in Berlin kaum noch. Doch nur wenige Schritte entfernt kann man in fremde Welten eintauchen - ganz ohne zu verreisen. Vor wenigen Monaten öffnete in der Hardenbergstraße das Historisches Archiv zum Tourismus (HAT) nach langer Standortsuche neu. Mehr als 10 000 Bücher, 50 000 Prospekte und Tausende Plakate aus fünf Jahrhunderten füllen 600 Regalmeter. »Unser Archiv ist weltweit einzigartig«, sagt der Leiter und Tourismusforscher Hasso Spode.

Wahre Schätze verbergen sich in den mit Neonlicht erhellten Kellerräumen: Die ältesten Bücher liegen in einer Glasvitrine, darunter ein Reisebericht aus Syrien mit dem Titel »Die ergötzlichen und merkwürdigen Seiten des Morgenlandes« von 1681 oder ein Beschreibung Chinas von 1676. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt allerdings auf dem 20. Jahrhundert, als der Tourismus zum Massenphänomen wurde.

In den Regalen liegen Broschüren aus der Sowjetunion unter Stalin, nationalsozialistische Prospekte mit Werbung für »Kraft durch Freude«-Ferienanlagen und West-Berlin-Werbung. Außerdem gibt es Reiseführer über Länder, die gar nicht mehr existieren, wie die DDR oder Jugoslawien. Zur Sammlung gehören auch private Fotoalben, Tonbänder, Videos, Akten und Karten.

Lange Zeit war unklar, ob das 1986 an der Freien Universität (FU) Berlin gegründete Archiv überhaupt noch eine Zukunft hat. 2009 stellte die FU den Studiengang »Tourismuswissenschaft« ein, an den das Archiv angegliedert war. Dessen Räume wollte die FU anders nutzen. »Es hat Monate gedauert, bis wir eine neue Lösung gefunden haben«, sagt Professor Spode. »In der Zwischenzeit meldeten etliche Hochschulen, unter anderem aus den USA, Schweden, Malta und der Schweiz Interesse am Archiv an«. Jetzt bietet das Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Räume ein neues Zuhause.

»Wir sind das Gedächtnis der Tourismusbranche in Deutschland. Man sollte uns mal die Füße küssen«, sagt Spode auch mit Blick auf die nach wie vor unzureichende Finanzierung. Unterstützt wird das Archiv hauptsächlich von der Willy-Scharnow-Stiftung für Touristik in Frankfurt am Main. Geschäftsführer Walter Krombach erklärt, warum: »Als einzige Stiftung der Tourismusbranche, die sich der Aus- und Weiterbildung von Touristikern widmet, halten wir es mit dem Zitat: »Keine Zukunft, ohne Vergangenheit««. Hasso Spode hat nur zwei Mitarbeiter, die zum Teil ehrenamtlich arbeiten. Große Besucherströme wären daher nicht zu bewältigen. Die Räume stehen vor allem Wissenschaftlern und Experten aus der Tourismusbranche offen.

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