nd-aktuell.de / 13.05.2013 / Politik / Seite 5

Westkonzerne testeten in DDR-Kliniken

Mehr als 50 000 Patienten betroffen

Hamburg (Agenturen/nd). Westliche Pharmakonzerne sollen in der DDR hunderte Medikamentenstudien an mehr als 50 000 Patienten in Auftrag gegeben haben. Wie der »Spiegel« berichtete, wurden bis zum Mauerfall in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet - oft ohne Wissen der Betroffenen.

Das Nachrichtenmagazin beruft sich dabei auf bislang unbekannte Akten des DDR-Gesundheitsministeriums, des Ministeriums für Staatssicherheit und des Instituts für Arzneimittelwesen der DDR. West-Pharmahersteller gaben demnach an DDR-Kliniken mehr als 600 Arzneimittelversuche in Auftrag.

Dem Bericht zufolge kam es immer wieder zu Todesfällen, auch wurden Tests wegen Nebenwirkungen abgebrochen. Den Akten zufolge starben unter anderem in Ost-Berlin zwei Kranke bei einem Test mit einem durchblutungfördernden Mittel. In der Lungenklinik Lostau bei Magdeburg seien zwei Patienten gestorben, die mit einem unerprobten Blutdrucksenker behandelt wurden.

An der Berliner Uniklinik Charité ließ Boehringer-Mannheim demnach die als Dopingmittel missbrauchte Substanz Erythropoetin (»Epo«) an 30 »unreifen Frühgeborenen« erproben, wie der »Spiegel« weiter aus den Akten zitierte. Bayer habe Nimodipin, ein Mittel zur Verbesserung der Hirndurchblutung, unter anderem an Alkoholikern im akuten Delirium testen lassen.

Die Hersteller boten demnach bis zu 800.000 D-Mark pro Studie an. Einige Mediziner waren sich laut Gesprächsprotokollen der Motive der Konzerne durchaus bewusst. Die betroffenen Unternehmen weisen laut »Spiegel« darauf hin, dass die Vorgänge weit zurücklägen. Sie betonen, dass klinische Tests prinzipiell nach strengen Vorschriften erfolgten.

Der Historiker Volker Hess will die Vorgänge untersuchen und warnte davor, vorauseilend zu skandalisieren. »Ich würde nie von Menschenversuchen sprechen, das ist eine andere Kategorie.« Es handele sich um klinische Arzneimittelversuche, die nach gängigen Regeln durchgeführt wurden, sagte der Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Charité.