nd-aktuell.de / 13.05.2013 / Montagmorgen / Seite 12

Schwaben in Berlin

Wo endet das Klischee und ab wann wird aus dem Witz Ressentiment?

Jürgen Amendt

Wo endet das Klischee, der nicht ernst gemeinte Wortwitz über Minderheiten und ab wann wird aus dem Witz Ressentiment? Im Prinzip ist es so: Witze über Minderheiten bleiben solange harmlos, solange Angehörige der Minderheit über sich selbst diese Witze machen; auch der Witz, den eine Minderheit über eine andere erzählt, kann noch Comedy sein. Die Grenze zwischen Witz und Vorurteil ist keine genau definierbare, man wird ihrer oft erst gegenwärtig, wenn sie überschritten wurde.

Schwaben zum Beispiel sind in Berlin eine Minderheit, rund 300 000 von ihnen sollen in der Stadt leben. Im Gegensatz zu Angehörige anderer Gruppen - Türken und Arabern etwa - sind Schwaben als Minderheit nicht anhand äußerlicher Merkmale identifizierbar. Das schützt sie vor verbalen Attacken. Doch das will nichts heißen. Die US-Lehrerin Jane Elliot teilte vor gut 40 Jahren in einem Experiment ihre Klasse in zwei Gruppen auf: die Blauäugigen und die Braunäugigen. Die Blauäugigen erklärte sie als geistig und körperlich den Braunäugigen unterlegen. Das Ergebnis des Experiments war erschreckend: Die Schüler mit braunen Augen hielten sich wirklich den Blauäugigen überlegen und diese wiederum nahmen die ihnen zugewiesenen negativen Wertungen an. Elliot hat das Experiment seitdem in vielen Gruppen wiederholt und dabei stets das gleiche Ergebnis erzielt: Es macht keinen Unterschied, nach welchen vorgeblichen oder tatsächlichen Unterschieden man die Menschen einteilt, entscheidend ist die Wertung der Unterschiede.

Über Schwaben gibt es viele Witze und die Rivalität zwischen Schwaben und Franken beispielsweise ist über viele Jahrhunderte gepflegt worden - ohne allerdings je in ernsthafte Scharmützel umzuschlagen. Ich stamme aus Franken und es ist mir seit jeher eine Freude über Schwaben Witze zu erzählen. Nie käme mir aber in den Sinn, den Kontakt zu Schwaben zu meiden. Letztlich, so muss ich zugeben, ist das Klischee vom sparsamen, arbeitsdisziplinierten, überkorrekten Schwaben ein gutes Stück Projektion - der gemeine Franke mag sich nur nicht eingestehen, wie viel »Schwabe« in ihm selbst steckt.

Die Schwaben in Berlin stammen aus einer der wirtschaftlich potentesten Regionen Deutschlands. Das lässt einen Selbststolz entstehen, der von anderen leicht als Provokation empfunden wird. Minderheiten, die selbstbewusst auftreten, haben seit jeher das Ressentiment der von Minderwertigkeitskomplexen Geplagten auf sich gezogen.

Das Ressentiment ist an keine politische Heimat gebunden - es findet sich links genauso wie rechts. »Kauft nicht bei Schwab›n« hat ein Unbekannter kürzlich auf eine Hauswand im Stadtteil Prenzlauer Berg geschrieben. Eine Grenzüberschreitung, Umschlag des klischeebeladenen Witzes ins Ressentiment. Dass die Schwabenhasser den Spruch auf ein Haus schmierten, in dessen Nähe sich eine Synagoge befindet, war sicherlich keine Absicht - es ist aber auch kein Zufall.

Karikatur: Sarah Liebigt