nd-aktuell.de / 07.12.2005 / Kultur

Leise und zart

Zum Tode von Hanns Dieter Hüsch

Hans-Dieter Schütt
Was Hanns Dieter Hüsch redete, und er redetete viel, das redete er schnell. Man hatte sich als Zuhörer zu konzentrieren, sogar anzustrengen - um möglichst all diese intelligenten Texte aufzunehmen, all diese beiseite gesprochenen, beiläufig hingetupften Aussagen. Die aber jenes große Gewicht hatten, das von letzten Dingen ausgeht. Hüsch formulierte äußerst gezielt, aber er formulierte nicht aus. Er betrieb Assoziationskunst. Unentwegt: Bilder und absurde Übergänge. Er gab sich im raschen Strom der Gedankenfolgen gern wie ein gejagter Zauberlehrling; aber hinter der Hatz lächelte der Meister, vor sich die kleine elektrische Orgel. Wenn man ihn sah, ahnte man etwas von der Deutschland-Liebe des Herrn: Der wohnt nicht im Himmel, sondern am Niederrhein. Bei Hüsch nicht nur eine Landschaft: ein Universum. Ja, Hüsch hätte ich wahrscheinlich hergenommen, um einem kleinen Kind, das noch an den Weihnachtsmann glaubt, auch eine andere Fantasie zu bestätigen: dass der liebe Gott ein Gesicht habe, ein gütiges, bärtiges. Das Hüsch-Gesicht eben. Kein Wunder, dass er auch auf Kanzeln sprach (nicht von Kanzeln herab). Er war der leise, schüchterne Philosoph unter den Kabarettisten, und sein philosophisches Grundgesetz hieß: »Ohne mich.« Da war er tatsächlich wie Gott: Der hat als Einziger keine Religion. Hüsch hatte keine Ideologie. Er mochte kein Politkabarett, mit diesen Standard-Hacksuiten aufs wechselnde politische Personal, er hasste Missionierungsversuche, er baute Leben und Werk von der Hoffnung her auf, vom Zarten - und nicht von der routiniert durchgehämmerten Lust am Negativen. Der Kleinbürger war ihm näher als der Revolutionär, was nichts weiter war als Liebe zu den Revolutionären - die im Privaten ja auch meistens nur Kleinbürger sind. Nein - »nur« sagte Hüsch in diesem Zusammenhang nie. Eine seiner schönsten Figuren hieß Hagenbuch, ein dem Konjunktiv verfallener Mensch, der das Leben als Möglichkeitsform in einer Irrenanstalt verlebt. So sind viele seiner »Helden«: lauter Unmerkliche, lauter Robert-Walser-Randmenschen. Kabarett? Vielleicht eher wahre Klein-Kunst, die Kunst, das Kleine mit großer Tragik zu adeln, mit Poesie, milder Kritik, Lebensweisheit, Witz, Sentimentalität. Hüsch, der Mann aus Moers, 1925 geboren. Einmal buhte man ihn bei einem Festival von der Bühne. Bezeichnend das Jahr, in dems geschah: Achtundsechzig. Am Dienstag ist Hüsch, 80, gestorben. Den Lear wollte er noch spielen. So wie er Kindern als Bestätigung des lieben Opas Gott diente, so dient er nun ihrer Aufklärung: Seht, auch der liebe Gott stirbt, und er stirbt mit unerfüllten Träumen.