nd-aktuell.de / 18.05.2013 / Brandenburg / Seite 16

Gaunerzinken und Tatortkoffer

Sherlock Holmes' Onkel Hans Gross in einer Ausstellung des Frankfurter Kleist-Museums

Rainer Funke

Wundersame Zeichen, ans Gemäuer einer einsamen Waldkapelle gekritzelt: Papagei, Kirche, Schlüssel, drei Steine, gewickeltes Kind. Offenkundig, so ist es überliefert, handelt es sich um einen Gaunerzinken - ein Plakat, das lediglich der Unterwelt verständlich war.

Hans Gross zufolge darf man davon ausgehen, dass ein Unhold, der Vogel, eine Kirche berauben wollte und dafür einen Komplizen suchte. Die Steine sollten den Heiligen Stephanus symbolisieren, den man gesteinigt hatte und zu dessen Gedenktag der 26. Dezember erkoren wurde. Dies sollte der Termin der Tat sein. Das Baby in Windeln meinte die Geburt Christi, also den 24. Dezember. An diesem Tag wollte man sich an besagter Kapelle treffen, um den Coup zu verabreden.

Die Geschichte scheint ein bisschen weit hergeholt. Doch entschlüsselte der Kriminologe Gross auch andere derartige Bilderrätsel und befasste sich in seinem anno 1893 erschienenen »Handbuch für Untersuchungsrichter« ausführlich mit dem Phänomen der Gaunersprache. Zwar bestritten manche seiner Kollegen, dass es je einen bedeutsameren Fall gegeben hätte, der nach einem Gaunerzinken ausgeführt worden wäre. Doch hält sich bis heute der Glaube, dass da etwas dran sein müsse.

Jeden Tag komme es in Berlin zu ungefähr 30 Einbrüchen, Tendenz steigend, meint denn auch Bodo Pfalzgraf, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft. In diesem Kontext seien derartige Zeichen »an Hauswänden, Briefkästen, Klingelbrettern, Türzargen und Zäunen« entdeckt worden. Sie würden in althergebrachter Weise von Einbrechern, Dieben und Trickbetrügern benutzt.

Eine Wanderausstellung im Kleist-Museum in Frankfurt (Oder), die Ausstellung stammt aus Graz, widmet sich derzeit den Mühen des Hans Gross wider die »lebensfremde Paragrafenjuristerei« und seinem Ansinnen, Kriminalistik zu einer anerkannten Wissenschaft mit Professoren und Studenten zu machen.

Gross, den man wegen seiner kreativen Herangehensweise auch Sherlocks Onkel nannte, schrieb eine Reihe theoretischer Werke und erfand den Tatortkoffer, wie er noch heute bei der Spurensuche benutzt wird. Ebenso soll der Spürhund in den Diensten der Polizei seine Idee gewesen sein. Der Mann befasste sich mit den soeben entdeckten Röntgenstrahlen und benutzte sie dazu, Täter zu überführen. Und er analysierte das Vorgehen der Wilddiebe, die schwarze Masken trugen, um unerkannt zu bleiben. Durch Wilddiebstahl versorgten sich arme Familien - damals eine »Form des politischen Protestes gegen die das Jagdrecht besitzenden Oberschichten«, wie es in der Ausstellung heißt. Und immerhin: Der Schilderungen und Analysen von Gross bedienten sich Bestsellerautoren wie Arthur Conan Doyle und George Simenon.

Der nahezu geniale »Verfolger des Bösen« hing allerdings selbst dunklen Absurditäten nach, nämlich einer »gereinigten Welt«. Er forderte, gegen »Zigeuner«, Landstreicher, Revolutionäre, Gewohnheitsdiebe und Päderasten energisch vorzugehen. Gross nannte sie »Degenerierte«, die man deportieren müsse, »um die Gesellschaft zu erhalten, denn sie sind gefährlicher als Kriminelle«, zitiert ihn das Begleitheft. In solchen Zusammenhängen sah Gross auch seinen zur Anarchie neigenden Sohn, einen Schüler Sigmund Freuds. Er ließ ihn von einem Gericht für wahnsinnig erklären und in eine Irrenanstalt einweisen.

Was hat Gross nun mit dem Dichter Heinrich von Kleist zu schaffen? Direktor Wolfgang de Bruyn sagt: Die »Berliner Abendblätter«, die Kleist um 1810 herausgab, lebten von Polizeiberichten über Verbrechen. Als sie nicht mehr zur Verfügung standen, ging das Blatt ein. Nicht zuletzt wurde Kleists Tod am Wannsee zu einem aufsehenerregenden Kriminalfall, erinnert de Bruyn. Nahezu symbolhaft deshalb der in der Ausstellung nachgestellte Tatort. Neben dem Mordopfer liegt ein zerbrochener Krug. Im April zog es fast 700 Besucher zu Gross ins Museum. Für die nächsten Tage haben sich bereits etliche Gruppen angemeldet.

»Sherlocks Onkel. Die Spuren des Dr. Gross«, Kleist-Museum, Faberstraße 7 in Frankfurt (Oder), bis 14. Juli, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 2 Euro, www.heinrich-von-kleist.org[1]

Links:

  1. http://www.heinrich-von-kleist.org