Weltgeist, hinterhältig

In der Reihe »Vergessene und verbotene Theaterstücke der DDR« am Berliner Ensemble: »Barby« von Peter Hacks

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Was für eine Reihe am Berliner Ensemble: lauter Unikate. Einmal als szenische Lesung im Gartenhaus aufgeführt, und dann müssen wir uns wieder selber erinnern. DDR-Dramatik als Reservoir vergessener Konflikte: sämtlich von der Hoffnung getragen, jene Widersprüche, aus denen Geschichte seit jeher besteht, auch in der DDR auf die Bühne bringen zu können. Hoffnung, die enttäuscht wurde, lange bevor sich der Staatsuntergang der DDR vollzog.

Für Heiner Müller war es die »Umsiedlerin«, für Peter Hacks »Moritz Tassow« - letztlich unspielbare DDR-Gegenwart. Danach zogen sie sich weit in die Geschichte zurück und kultivierten das Handwerk des »Kopisten«, bearbeiteten fertige Stücke. »Moritz Tassow« kann am BE an diesem Abend wieder nicht aufgeführt werden, es fehlen die nötigen Schauspieler (anderweitig beschäftigt oder krank) - ein Klassikerschicksal, das sich Peter Hacks wohl nicht hat träumen lassen.

Statt »Moritz Tassow«, diesem paradigmatischen Stück von Hacks, mit dem er sich nach dem Debakel von »Die Sorgen und die Macht« nochmals vergeblich als sozialistischer Gegenwartsschriftsteller zu beweisen versuchte, liest man »Barby«, eine sich selbst Lustspiel nennende Komödie, uraufgeführt 1983 am Neuen Theater Halle bei Peter Sodann. Auch dieser Text ist eine Bearbeitung, diesmal die eines erfolgreichen Spezialisten für DDR-Komödien: Rudi Strahl. Von ihm war 1980 am Gorki-Theater »Er ist wieder da« aufgeführt worden - und Hacks hatte darin sofort ein Grundmotiv erkannt, das ihn zu variieren reizte. »Peter Hacks ist viel lustiger als Rudi Strahl.« Der Satz darf natürlich im Stück nicht fehlen, in jener für Hacks typischen Doppelung von Selbstironie und Überheblichkeit. Aber, es stimmt! Denn Hacks findet mit »Barby« nahtlos Anschluss an jenes Thema, bei dem er mit »Senecas Tod« bereits Höchstform bewiesen hatte: Der Stoizismus eines starken Egos in feindlich gesonnener Umgebung.

So sitzen dann an diesem, wieder von Manfred Karge und Hermann Wündrich initiierten Abend, Teil fünf zur DDR-Dramatik, neun Männer und eine Frau auf der Bühne. Ort: eine Kleinstadt. Die Krankenschwester Katharina (stark: Anna Graenzer) hat einen Pflegling in ihrer Wohnung, sehr zum Ärger ihres Freundes. Edmund Barby ist ein alter Mann, der nichts mehr sagt, sieht und hört und wohl auch nichts mehr merkt, so heißt es. Wie alt er ist, weiß niemand. Doch war er vor langer Zeit, nach dem Krieg, Bürgermeister im Ort. Auch da nicht mehr jung. Und jetzt soll dem sonderbaren Alten ein Denkmal auf dem örtlichen Berge gebaut werden. Der Aufmarsch vor dieser immer noch, dank inniger Pflege Katharinas, lebenden Legende wird zur absurden Szenerie. Statt Lösungen: immer nur Losungen. Manche sind gar nicht politischer, sondern eher intimer Natur, wie die von Dr. Karkittel, der sein Grundwissen von der Welt und den Menschen so zusammenfasst: »Ich liebe Frauen, welche gut gewaschen und frei von Gehirn sind.« Da ist ferner der Gerontologe Professor Stambuloff (Axel Werner), der Barby mit allem Fachwissen des Balkans erforscht: »Die Männersterblichkeit liegt immer noch bei hundert Prozent, die der Frauen knapp darunter.« Herrn Pillwein (Roman Kaminski) vom Rat der Stadt, Abteilung Freud und Leid, dreht zuverlässig gratulierend und kondolierend seine Runden - und landet ebenso zuverlässig immer vor Katharinas Tür.

Barby scheint für Hacks eine Art unter sozialistischen Kleinstadtbedingungen wiedergeborener Seneca gewesen zu sein, jemand, der »sämtliche Beziehungen zur Umwelt abgebrochen hat« - ein Zustand, für den das Wort vom Nischenbewohner längst nicht radikal genug ist. Denn Barby, so stellt sich heraus, ist ein Ahasver der Weltgeschichte, ein Wiedergänger von den Anfängen an. Und man weiß nicht genau, ist er nun ein Held oder ein Verbrecher - und worin genau besteht der Unterschied zwischen beiden? Was noch an Leben in ihm steckt, das ist nicht mehr als das Vehikel für einen würdigen Freitod.

Ist das nun ein Text, der mit der DDR seine Spielbarkeit verloren hat? Nein, denn die Kleinstädte haben nicht aufgehört zu existieren. Und der Satz: »Die ganze Welt weiß es, außer, wie immer, wir«, hatte zwar in der DDR eine ganz eigene Bedeutung, aber das heißt nicht, dass er heute gar keine mehr hätte, wenn auch wiederum eine spezielle, die man entdecken sollte. Zudem: die Stoiker wachsen überall und zu allen Zeiten nach - und wenn jemand dieser Geisteshaltung den Dialog zu geben vermag, dann Hacks.

Das Stück hat trotz seines tatsächlich bösen Witzes ein banales Pech gehabt. Die Ironie des Weltgeistes ist hintersinnig, aber manchmal auf andere - hinterhältige - Weise, als es sich sogar ihr größter Anwalt, als der sich Hacks immer verstand, vorstellen konnte. Hätte er seinem stoischen Helden doch bloß einen anderen Namen gegeben! Denn bei Barby denken wir nicht nur an jene auf blonde Weise geistfreie Puppe, sondern auch an den »Schlächter von Lyon«, den Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie. Als dieser 1983 in Bolivien verhaftet und 1987 in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, war Edmund Barby von Hacks schon in der Welt. Aber wer sollte nun noch ein Lustspiel mit diesem Titel aufführen?

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