nd-aktuell.de / 21.05.2013 / Politik / Seite 9

Lateinamerika zittert vor EU-Krise

Kommission prognostiziert dennoch Wachstum

Benjamin Beutler
Lateinamerikas Wirtschaft schaut skeptisch auf die Krise in Europa, die auch in Übersee Spuren hinterlässt.

Rezession in Europa, abkühlende Wirtschaft in China und geringes Wachstum in den USA hinterlassen auch in Lateinamerika Spuren. Laut einem kürzlich vorgestellten Bericht der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hat »das geringe Wachstum der Weltwirtschaft den Handel in der Region beeinträchtigt«. Den von Europa verschuldeten Bremseffekt habe die Erholung in den USA und Japan nicht abfedern können, korrigieren die CEPAL-Experten ihre Wachstumsstatistik für den Kontinent um 0,1 Prozentpunkte nach unten.

Für 2012 hatte man den Volkswirtschaften vom Rio Grande bis Feuerland Zuwachsraten von 3,0 Prozent gut geschrieben. Der zuletzt boomende Außenhandel stottert derzeit. Waren die Exportwerte des Kontinents 2011 um satte 23,9 Prozent hochgeschnellt, wurden 2012 nur 1,6 Prozent verzeichnet. Ähnlich verhielten sich die Importe. Für 2013 prognostiziert die CEPAL dank »dynamischer« Binnennachfrage und den wiedererstarkten Zugpferden Argentinien (3,5 Prozent) und Brasilien (3,0 Prozent) dennoch 3,5 Prozent Wachstum. Spitzenreiter ist Paraguay mit zehn Prozent. Jamaika hält mit 0,4 Prozent die rote Laterne.

Gebannt schauen die Latinos nach Europa. Die Autoren bescheinigen Brüssel einen »fehlenden Konsens zur Lösung der Krise«. Für anhaltende Unruhe in Übersee sorgen auch Europas »Anstrengungen, die sich mit Liquiditäts- und Finanzhilfen punktuell kritischen Situationen entgegenstellen«, wie zuletzt in Zypern. Weniger Wirtschaftswachstum in Deutschland und Frankreich, Rezession im Süden - die EU-Krise wird als »eine der größten Risikofaktoren für die Wirtschaft der Welt, Lateinamerikas und der Karibik« ausgemacht.

Die CEPAL-Daten geben auch Aufschluss über die Wirtschaftslage Venezuelas. Meldungen, dass der an Krebs verstorbene Ex-Präsident Hugo Chávez seinem Nachfolger Nicolas Maduro ein »desaströses Erbe« hinterlassen habe, gehören aber ins Reich politischen Wunschdenkens: 2012 wuchs Venezuelas Ökonomie um 5,6 Prozent. Und liegt damit auf Rang vier in der Region, noch vor »Musterländern« wie Brasilien, Costa Rica und Kolumbien. Als treibende Kraft wird der Bausektor gelobt. Hier sorgte ein milliardenschweres Sozialwohnungsprogramm für gute Jobs und nachhaltiges Wachstum. Auch Meldungen über die angeblich überbordende Staatsverschuldung wegen der Sozialprogramme sind haltlos: 2011 lag der Anteil öffentlicher Schulden am BIP bei 45,5 Prozent, berichtet der Internationale Währungsfonds (IWF). Damit steht der Ölstaat im internationalen Vergleich gut da - die EU-Staaten sind durchschnittlich mit 82,5 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet.