Straßenschlacht am Bodensee

Wie Konstanz seinen Stadtplan korrigieren wollte

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.
In den Bodenseestädten Konstanz und Radolfzell (Baden-Württemberg) wird seit Monaten über die Umbenennung von Straßen debattiert, die Namen von Männern tragen, die für entsetzliche Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden. In Konstanz gab es bereits zwei Beschlüsse zur Umbenennung, die jedoch wieder aufgehoben wurden.

Bereits Ende März 2012 beschloss der Gemeinderat von Konstanz am Bodensee, die Von-Emmich-Straße umzubenennen. General Otto von Emmich (1848-1915) war 1914 für Massaker und Kriegsverbrechen an der belgischen Bevölkerung verantwortlich. Der damals als »Held von Lüttich« gefeierte Soldat könne aus heutiger Sicht keinesfalls als Vorbild bezeichnet werden, so die Meinung der Konstanzer Straßenbenennungskommission im Vorfeld der Abstimmung.

Aus Versehen abgestimmt

Dann aber gingen einige BürgerInnen der Von-Emmich-Straße auf die Barrikaden und forderten die Rücknahme der Entscheidung. Sie fühlten sich »übergangen« und »überfahren«, außerdem entstünden mit der Adressänderung Kosten und großer Zeitaufwand durch die Lauferei auf zuständige Ämter. Mehrmals war auch zu hören, dass doch heutzutage keiner mehr wisse, wer von Emmich überhaupt war. Die Verwaltung knickte ein und Ende September 2012 stand das Thema erneut auf der Tagesordnung des Gemeinderates. Mit knapper Mehrheit entschied sich der Rat ein zweites Mal für die Umbenennung. Doch damit war die Angelegenheit immer noch nicht vom Tisch.

Angeblich, so der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU), gäbe es für eine Wiedervorlage »triftige Gründe«, vor allem die Einsprüche einiger AnwohnerInnen der Straße müssten berücksichtigt werden. Mittlerweile hatte die Konstanzer FDP-Fraktion moniert, sie habe »versehentlich« für die Umbenennung gestimmt, das sei ein »Missverständnis« gewesen. Somit wird die Von-Emmich-Straße den Konstanzern vorerst wohl erhalten bleiben, denn auch die Straßenbenennungskommission ist nun mehrheitlich der Meinung, die Interessen der Anwohner seien »höher zu gewichten« als das »Interesse der Allgemeinheit« an einer Umbenennung.

Die Linke Liste Konstanz (LLK) protestierte gegen dieses Vorgehen und fragte in einer aktuellen Pressemitteilung: »Wie oft muss über einen gemeinderätlichen Beschluss abgestimmt werden, bis er einigen Gemeinderäten passt?« Eine endgültige Entscheidung steht allerdings noch aus.

Ähnlich turbulent geht es in der Nachbarstadt Radolfzell zu. Erst kürzlich hatte der Rat entschieden, die Lettow-Vorbeck-Straße nicht umzubenennen. Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) gilt im Zusammenhang mit dem Boxer-Aufstand und Massakern während des Ersten Weltkriegs in Ostafrika als Kriegsverbrecher und Massenmörder. Max Uhlemann, ein Radolfzeller Schüler, hatte vor rund einem Jahr mit einer fundierten Recherche die Bevölkerung auf die Gräueltaten von Lettow-Vorbeck aufmerksam gemacht und eine Straßenumbenennung angeregt.

Aber ähnlich wie in Konstanz sprachen sich die Anwohner mehrheitlich dagegen aus. Ihnen ist auch völlig egal, dass Lettow-Vorbeck am Kapp-Putsch 1920 beteiligt war und bis zu seinem Tod ein überzeugter Nationalsozialist geblieben ist.

Und das Präsidium prüft

Den Radolfzeller Ratsbeschluss kann die Konstanzer Historikerin Heike Kempe nicht nachvollziehen. Noch 1957 habe Lettow-Vorbeck in seinen Erinnerungen den von General von Trotha begangenen Völkermord an den Hereros und seine eigene menschenverachtende Kriegsführung in Süd- und Ostafrika verteidigt. Auch den Untergang des NS-Regimes, der seiner Meinung nach durch militärisches Versagen zustande gekommen sei, habe er als bedauerlich empfunden. »Dass Deutschland seine Nachbarn überfallen und millionenfachen Mord an der jüdischen wie nicht-jüdischen Zivilbevölkerung begangen hatte«, so Kempe weiter, »wurde in Lettow-Vorbecks Memoiren mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn verurteilt.« Für sie steht fest, dass er »als Namensgeber für Straßen absolut ungeeignet ist.«

Die Diskussion über Lettow-Vorbeck wird in Radolfzell weitergehen. Befürworter der Umbenennung lassen zur Zeit beim Regierungspräsidium Freiburg prüfen, ob der Ratsbeschluss angefochten werden kann.

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