Der Anfang einer Krise des Regimes

Der Ökonom und Linksblock-Gründer Francisco Louçã über die Auswirkungen der Sparpolitik in Portugal

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Francisco Louçã ist Professor am Insituto Superior de Economia e Gestao in Lissabon und Gründungsmitglied des Bloco de Esquerda (Linksblock), für den er bei der Präsidentschaftswahl in Portugal 2006 kandidierte. Er spielt eine aktive Rolle im Bloco und in sozialen Bewegungen. Über die Situation im Krisenland Portugal sprach mit ihm für »nd« Mark Bergfeld.

nd: Massive Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen einzelner Länder plagen die Eurozone. Für viele ist die Währungsunion Synonym für das europäische Projekt, für andere ein Vorteil für Deutschlands Exportwirtschaft. Welche Zukunft hat der Euro?
Louçã: Der Euro dient den Interessen der Finanzmärkte in Frankfurt, und Deutschland ist der Nutznießer dieses Prozesses. Die Degradierung der Peripherie-Länder - im Fall von Spanien und Italien zwei der stärksten Weltwirtschaften - findet aufgrund der Überbewertung des Euros statt. Die Kürzungsmaßnahmen und die Rezessionspolitik sind eine direkte Konsequenz des Euros. So wie er aufgestellt ist, provoziert er nur Defizite und Elend. Die skandalträchtige Orthodoxie der Europäische Zentralbank verschärft diese Probleme nur. Die EZB und die Kommission stehen unter Angela Merkels Bann. Sie meinen, dass Rezession und Arbeitslosigkeit heilen können. Folglich wird sich die einzige Debatte bei den Europawahlen nächstes Jahr um den Kollaps der EU als gemeinsames und respektables Projekt drehen.

Im letzten Jahr noch bezeichnete der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble Portugal als Musterschüler der Eurozone. Nun steht das Land vor großen wirtschaftlichen Problemen. Die Arbeitslosenquote beträgt 18 Prozent und die Koalitionsregierung von PSD und CDS-PP braucht mehr Zeit, um die geforderten Kürzungen umzusetzen. Wie lauten die tiefer liegenden Gründe für die Krise?
Die Rezession wurde von den Kürzungsmaßnahmen und dem Transfer von Ressourcen für Zahlungen verursacht. Folglich hat die Arbeitslosigkeit in bislang unbekanntem Maß zugenommen. Stagnierende Löhne und Renten haben eine Abwärtsspirale in der Wirtschaft ausgelöst. Dies ist nicht das Verhalten eines Musterschülers. Wir zahlen den teuren Preis für die Herrschaft von Merkel und Schäuble.

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Das Verfassungsgericht erklärte kürzlich vier von neun Kürzungsmaßnahmen für verfassungswidrig. Der hohe Regierungsvertreter Miguel Relvas trat zurück. Was geschieht gerade an der Spitze der portugiesischen Gesellschaft?
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts, diese Reformen offen infrage zu stellen, offenbart, dass dies mehr als eine politische Krise ist: Das ist der Anfang einer Krise des Regimes. In Griechenland und Italien zeichnen sich ähnliche Bilder ab. Eventuell wird in Spanien das Gleiche passieren. Wir erleben die Konsequenz des demokratischen Defizits, der Kürzungsmaßnahmen und der bankrotten Politik.

In Europa sehen wir drei Formen des Widerstandes gegen die Troika: Massenstreik, Jugendrevolten wie die Empörten und Wahlerfolge wie der von SYRIZA in Griechenland oder der Front de Gauche in Frankreich. In Portugal kann man die ersteren zwei beobachten, aber wir sehen kein starkes Anwachsen des Blocos oder der Kommunistischen Partei PCP. Warum ist es der portugiesischen Linken bisher nicht gelungen, Vorteile aus Krise zu ziehen?
Die Umfragewerte zeigen wachsende Zustimmung für die linken Anti-Troika-Kräfte. Heute liegen ihre Werte bei mehr als 20 Prozent. Um eine linke Regierung zu bilden, die das Memorandum und die Troika ablehnt, ist viel mehr erforderlich. Eine linke Regierung müsste bestimmte Schulden tilgen, so dass der Staat wieder die Kapazität für Investitionen und Erwerbsarbeit hätte. Die Großdemonstration am 2. März zeigte die demokratische Bereitschaft der breiten Bevölkerung, für ihre Löhne und Renten zu kämpfen.

Könnte eine linke Regierung in Griechenland oder Portugal im Kontext der derzeitigen Kräfteverhältnisse die Troika besiegen?
Es gibt nur diesen einen Weg. Natürlich würde eine solche Regierung in Gefahr geraten. Sie müsste sich nach europäischen Alliierten und anderswo umsehen, da die EU und EZB sich der Austerität verpflichtet und dem Interesse des Finanzkapitals verschrieben haben. Mit ausreichender Unterstützung der Bevölkerung, inhaltlicher Geschlossenheit und Eigeninitiative könnte ein Sieg möglich sein.

Die Schulden Portugals betragen rund 209 Milliarden Euro - 126,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die globalisierungskritische Bewegung forderte die Streichung aller Schulden für den Süden. Heute gibt es ähnliche Diskussionen innerhalb der europäischen Linken. Was sollte die europäische Linke fordern?
Genau das gleiche. Eine Wirtschaft mit einem Haushaltsdefizit von rund drei Prozent kann keine Zinsen von vier Prozent bezahlen. Wenn Schulden Schuldenberge verursachen, ist die Schuldentilgung die einzige Option.

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