nd-aktuell.de / 23.05.2013 / Politik / Seite 8

Zu großes Projekt im kleinen Val di Susa

Protest gegen Schnellzugstrecke auch beim Giro

Tom Mustroph, Susa
Auch als der Giro d’Italia dieser Tage das Susatal im Norden Italiens passierte, flackerte der Protest gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke auf.

Gewöhnlich ist die Strecke der Radrundfahrt Giro d’Italia rosa gehalten - ganz in den Farben des Sportblatts »Gazzetta dello Sport«, zu dessen Werbung das Rennen vor 104 Jahren ins Leben gerufen wurde. Auf Lieferwagen montierte Lautsprecher fordern plärrend zum Kauf von rosa Trikots und einem ganzen Giro-Set »für nur 5 Euro« auf. Als die bunte Karawane Anfang dieser Woche das Val di Susa (Susatal) passierte, vermischten sich die Werbebotschaften jedoch mit Protest.

Vor einem Haus am Ausgang des 6000-Einwohner-Ortes Susa halten ein Dutzend Personen Transparente mit den Aufschriften »No TAV« (nein zum Hochgeschwindigkeitszug) in die Kameras. Gegenstand des Protestes sind die Planungen für die Europäische Eisenbahnachse Nr. 6. Sie sehen einen 52 Kilometer langen Tunnel durch uran- und asbesthaltiges Gestein unter dem Col du Mont Cenis als Teil einer neue Bahnlinie zwischen Mailand und Lyon in dem kaum einen Kilometer breiten Tal vor. »Das ist absurd. Wir haben schon zwei Bahnlinien und eine Autobahn hier. Verkehrstechnisch ist das Tal super ausgerüstet«, empört sich Luca Perino.

Perino hat auch privaten Anlass, sich zu empören. Er bewohnt das Haus, vor dem die Protestierer stehen. »Wenn alles nach den Planungen erfolgt, wird mein Haus inmitten einer Baustelle und in unmittelbarer Nachbarschaft einer Waschanlage für schwere Baumaschinen sein«, erläutert er.

Perino ist zwangsläufig zu einem jener informierten Bürger geworden, die mit einem Technikprojekt konfrontiert werden, das markanten Einfluss auf ihr Leben hat und die verstehen wollen, was da passiert. Weil es im Susatal vielen so geht - manche müssen sogar gewärtig sein, ihre Häuser ganz zu verlieren - und weil mit dem Grad der Informiertheit die Zweifel am Nutzen des Projekts größer werden, hat der Protest hier seit Jahrzehnten ein starkes Echo. Ein so starkes Echo, dass Staat und Leitmedien wiederum oft unangemessen reagieren. Perino zeigt Fotos von Polizisten, die nicht nur mit Tränengasgranaten, sondern auch mit Steinen gegen Protestierer vorgehen. Als am Dienstag einem Politiker, der zu den Befürwortern des Schnellbahnprojekts gehört, von Gegnern der Strom abgestellt wurde, stellte die Turiner Tageszeitung »La Stampa« anhand eines Facebook-Kommentars gleich eine Verbindung zum Terrorismus der Roten Brigaden her. Und während »nd« mit Perino spricht, gehen vor dessen Haus Beamte des italienischen Staatsschutzes vorbei und schauen ins Fenster. »Das ist Alltag bei uns«, sagt Perino.

Immerhin fassen die Gegner des Projekts inzwischen auf höherer politischer Ebene Fuß. TAV-Gegner Marco Scibona ist für die Grillo-Partei in den Senat eingezogen. Und Matteo Renzi, unterlegener Stichwahlkandidat der Demokraten (PD) vor den jüngsten Parlamentswahlen, hält das Projekt »für unsinnig und überdimensioniert«. Es besteht also Hoffnung, dass das kleine Tal nicht für eine Milliarden Euro schwere Schnellbahntrasse geopfert wird, auf der wegen technischer Gegebenheiten die Züge dennoch meist unter 200 Kilometer fahren müssen.