Kein Laufbursche sein

Mit neuem Album zurück zur alten Form - ein Gespräch mit Tricky

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

»Ich hasse diese Frau«, sagt der Mann, der mir gegenübersitzt. Und man glaubt es ihm. Er sagt es mit großer Bestimmtheit.

»Hass ist ein starkes Wort, aber nachdem Thatcher gestorben ist, habe ich in London Menschen auf der Straße vor Freude weinen sehen, die diese Frau noch nie gesehen hatten. Diese Menschen - Thatcher, die Queen, Politiker im allgemeinen - sind Teil des Problems. Alle Probleme, die wir auf der Welt haben, sind von Menschen wie David Cameron und Obama und den Menschen verursacht, die hinter ihnen stehen, den Regierungen.«

Der 45-Jährige kann, was die verstorbene britische Premierministerin angeht, seine Verärgerung kaum verbergen. Tricky, mit bürgerlichem Namen Adrian Thawes, ist in einem armen Viertel Bristols aufgewachsen. Seine Mutter starb, als er noch ein Kind war. Seine Onkels seien Mitglieder von Straßengangs und wiederholt in Messerstechereien und Schießereien verwickelt gewesen, erzählt er. »Ich bin ein Junge aus der Arbeiterklasse, aber ich wollte nie ein harter Kerl sein und war es auch nie. Ich musste mithilfe der Musik meinen Platz finden.« Seine Jugendjahre waren von der radikalen Politik der »Iron Lady« geprägt, die, wie er sagt, alles zerschlagen habe, was es noch an Solidarität und sozialem Zusammenhalt unter den ärmeren Familien in seinem ehemaligen Stadtviertel gegeben habe. Jeder sollte nur noch sich selbst der Nächste sein. »Ich bin aufgewachsen mit der Vorstellung, dass es die da oben gibt und uns da unten. Schon bevor Thatcher an die Macht kam, wusste ich das. Also war sie immer der Feind. Als sie an die Macht kam, war diese Vorstellung schon tief in mir verwurzelt, ich hatte keinen Respekt vor Menschen wie ihnen.«

Der Mann, der als Tricky berühmt wurde, trägt eine schwarze Nietenlederjacke und einen überdimensionierten, barock anmutenden Totenkopfring an einem Finger. Er hat, wie ich erfahre, an diesem Vormittag schon einiges weggeraucht, und sein bevorzugtes Getränk scheint Espresso zu sein. Ein eigenwilliger Mischkonsum, der ihn etwas hibbelig macht.

Vor einer - in den Zeitmaßstäben des Popgeschäfts gerechnet - halben Ewigkeit, Mitte der neunziger Jahre, hat er ein Musikgenre mitdefiniert, das eine Zeit lang überaus erfolgreich war: Triphop. Er selbst kann mit diesem Begriff bis heute nichts anfangen. Sein ganzes Künstlerleben lang wird er wohl an seinem Debütalbum »Maxinquaye« (1995) gemessen werden, an dem geisterhaft-düsteren, zeitlupenartigen, fast narkotisierenden Paranoia-HipHop-Blues seiner Anfangsjahre, der für viele Künstler wegweisend wurde und mit dem er sich von seinen damaligen Kollegen von Massive Attack unabhängig machte.

»Politiker sind nicht dazu da, Dinge zu verändern«, fährt Tricky mit seiner Anklage fort. »Sie sind dazu da, den Status Quo zu erhalten und die Freiheiten einzuschränken. Ich wünschte, Thatchers Tod könnte einige von den Dingen, die sie falsch gemacht hat, wieder gut machen. Sogar im Tod kann sie nichts richtig machen, sogar jetzt, wo sie tot ist, wurden Millionen von Pounds auf ihre Beerdigung verwendet, während gleichzeitig Menschen keine Wohnungen haben in England. Großbritannien ist definitiv eine Klassengesellschaft. Auch die Queen ist eine finstere Frau.«

Zuverlässig finster klingt auch Trickys neues Sprechsingsang-Album »False Idols«, das dieser Tage erscheint, sein zehntes.

Authentisch sein müsse man, sagt er. Nicht mehr vorgeben, jemand zu sein, der man nicht ist. »Sich nicht mehr permanent darum kümmern zu müssen, wie man aussieht, sich nicht ständig fürs Fotoshooting zurechtmachen zu müssen, der Öffentlichkeit keine Rolle mehr vorspielen zu müssen, das macht heute vieles leichter für mich. Ich bin auch zu faul für so etwas.«

Mit seinen zuletzt veröffentlichten Platten sei er unglücklich gewesen, bekennt er. Das Musikgeschäft und das Touren habe er in jenen Tagen als quälend empfunden, auch weil auf den kommerziellen Erfolg fokussierte Produzenten und Geschäftsleute zu viel Einfluss auf seine Musik hätten nehmen wollen. Aus Unzufriedenheit über seine Plattenfirma Domino habe er ihr sogar Tracks, die er für besonders gelungen hielt, vorenthalten, weil er nicht wollte, dass sie Profit aus ihnen schlägt. »Alles, was du dann tust, entwickelt sich negativ. Ich habe auf meinen letzten Touren auf der Bühne sehr viel getrunken, an manchen Abenden fast eine Flasche Whisky. Es war das reinste Chaos.« Nun aber habe sich einiges verändert: Neue Plattenfirma, neue Leute, mit denen er zusammenarbeite und die ihm weitgehend künstlerische Freiheit ließen. »Das ist wie ein Urlaub für mich, nicht wie Arbeit.« Seinen musikalischen Neuanfang will er als Rückbesinnung auf seine künstlerische Anfangszeit verstanden wissen. »Was meine Musik bis heute kennzeichnet, ist eher eine Atmosphäre als ein Stil«, erklärt Tricky.

Neulich habe ihn in Paris, wo er lebt, ein junges Paar angesprochen, das seine vierjährige Tochter bei sich hatte. Sie hätten ihr Kind zu seiner Musik gezeugt, habe die Frau ihm anvertraut. 18-jährige Kids, die noch nicht geboren waren, als 1995 sein Debütalbum erschien, hätten ihm mitgeteilt, seine Musik habe ihnen durch schwere Zeiten ihres Lebens geholfen. »Musik kann Menschen helfen. Solche Leute zu treffen, gibt einem den Glauben an das eigene Tun zurück. Wenn ich nicht solche Begegnungen hätte, würde ich vermutlich all das hier nicht mehr machen. Es ist nicht Ruhm oder Geld, was mich motiviert. Wenn man sich als Künstler abschottet und sich nur noch als den großen Superstar sieht, schadet man nur sich selbst. Künstler werden in unserer Gesellschaft wie Götzen verehrt und zu Markenprodukten gemacht.«

Folgt man Tricky, dessen frischgegründetes Label folgerichtig »False Idols« heißt und der schon als Heranwachsender linke Ska-Bands wie die Specials verehrte, kann auch heute Popmusik nur dann Relevanz für sich beanspruchen, wenn sie formal etwas Neues kreiert und den Anspruch, Gesellschaftskritik zu formulieren, nicht aufgibt. Als Beispiele nennt er etwa Public Enemy, den Wu-Tang-Clan, Kate Bush.

»Wenn man seinen Ruhm nicht für etwas nutzt, sondern ausschließlich sein eigenes Ego damit füttert, ist das nichts als die Verschwendung von Lebensenergie. Lenny Kravitz etwa halte ich für einen Poser. Der Mann steckt von Kopf bis Fuß in Marken- und Designerklamotten. Jemand wie Lady Gaga könnte etwas Relevantes sagen, an Dingen Kritik üben, aber sie ist ignorant, weil sie reich und berühmt ist. U2 haben Geld wie Heu, sie könnten so viel damit tun. Einer wie Bono, der mit Leuten wie George Bush posiert, ist ein Teil des Problems. Früher sang er von Freiheit, heute ist er ein Laufbursche der Konzerne.

Es mag sein, dass sich nichts ändert, wenn ich mit meiner Musik einen politischen Kommentar mache oder Sozialkritik übe, aber ich lehne es auch ab, einfach aufzugeben. Auch wenn ein Sklave weiß, dass er der Sklaverei nicht entkommen kann, legt er sich nicht einfach hin und tut nichts. Musiker wie Bob Marley oder John Lennon haben die Gesellschaft verändert. Man muss es weiter versuchen. Als Mensch trät man eine Verantwortung.«

Tricky: False Idols (False Idols)

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