Klassischer Wohlklang - gestört

Der Schinkel-Pavillon zeigt Oscar Tuazons »Spasms of Misuse«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Situation irritiert. Betritt man den Gang zum oktogonalen Ausstellungsraum des Schinkel-Pavillons, steht einem etwas im Weg. Schon hier fordert Oscar Tuazon Aufmerksamkeit ein. Zwei aus türähnlichen Stahlrahmen dicht verfugte, hochragende Kuben wollen zuerst besichtigt, dann umgangen werden. Durchgehen kann man nicht, denn ihre Flächen sind mit schwarzem Leder ausgespannt. Eine Art Tür klappt diagonal nach hinten weg, beim Nachbarkubus reziprok spiegelbildlich diagonal nach vorn. Den Rundumblick brechen Skulpturen aus sichtbar verschweißten, raffiniert gefügten Stahlrahmen. Nach rechts kanalisiert eine weiße Wand, lockt den Besucher in ein Labyrinth aus stets wiederkehrenden, ins Dreidimensionale ausgeführten Grundformen: Quadrat, gleichseitiges Dreieck und Parallelogramm.

Wenige Kuben sind durchlässig, die meisten aber durch Spiegel, Weißwände, Plexiglas oder Metallplatten begrenzt, so dass man immer erst mit der Hand vortastet, damit man sich nicht stößt. Manchen Dreieckräumen sind zwar durchsichtige Lamellenjalousien vorgehängt, die man vorsichtig bewegen kann; dahinter jedoch beleuchten Neonröhren eine Art verbotene Zone. Sooft man die Plastik umrundet, entdeckt man, dass der Blick wiederum anders geführt wird.

Ähnlich verwirrend gibt sich die zweite Großskulptur. Zwei Türen aus rundgestanztem Blech verschließen sie, die eine steht leicht geöffnet, beide mit Knauf, der das Schloss von außen einrasten lässt. Die geöffnete Tür allerdings führt an eine Wand, in den quadratischen Raum einzutreten wäre nutzlos. An zwei Außenseiten sind Spiegel angebracht, in denen man sich selbst sieht, die reflektierten Fenster des Oktogons und die blühende Natur außerhalb des Gebäudes. Die Skulptur schafft eine Verbindung von Drinnen, Draußen und Betrachter, zwischen Kunst und Realität. Damit nicht genug: Wieder führt eine weiße Gipswand direkt an die Mauer des Raums. Man wähnt sie einen Gang, der sich aber als Flachwand auflöst.

Eine kleinere Installation arbeitet mit Plexiglas. Nur an einer Ecke stoßen die Kuben zusammen, das Dreieck dazwischen füllen hier transparente Scheiben aus und suggerieren eine Ganzheit, die dennoch aus klaren Einzelteilen besteht. Drei gebündelte Eisenbahnschienen setzt eine weitere Skulptur ein. Sie durchdringen rechtwinklig einen Tisch mit Metallrahmen, aber einer Platte aus Beton. Sie werden beleuchtet von Neonröhren, die zumindest bei Tage keinen Effekt machen. Rostig und rissig im Farbanstrich, sind die Schienen zum zweckfreien Kunstobjekt geworden.

Mit einem verstörenden Moment versieht Tuazon zudem eine aus frischen Holzplanken gezimmerte Bank. Statt eines dritten schön geschwungenen gusseisernen Fußes ist jenes Ende über ein Metallgestell in der Wand verdübelt und lädt trotzdem nicht zum Sitzen ein. Zu vage erscheint einem die Festigkeit dieses Möbels.

Unruhig machen all diese Gebilde den an sich harmonischen Raum, unterlaufen eben diesen klassischen Wohlklang und konfrontieren ihn mit Stahl als rohem Grundmaterial voller Schweißnähte. Was die Architektur sehr geschickt kaschiert, ihr Stützgerüst, das rückt das Skulpturenarsenal unverstellt und unbefangen in den Blick. Die zumeist schamhaft verbrämten Werkstoffe werden so zu ebenbürtigen Partnern der Kunst.

Auf diese Weise schärft Oscar Tuazon unser Verständnis für den Wert des Materials. Der 1975 in Seattle geborene Künstler lebte von 2007 bis 2012 in Paris und wirkt heute in Los Angeles.

Bis 9.6., Do-So 12-18 Uhr, Schinkel- Pavillon, Oberwallstr. 1, Mitte

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