Das Amt liest mit

Arbeitsagenturen und Jobcenter nutzen das Internet, um mehr über ihre Kunden zu erfahren

  • Lesedauer: 3 Min.

Die meisten Bundesbürger achten darauf, wem sie ihre Daten anvertrauen. Doch diese Vorsicht legen viele ab, wenn sie im Internet surfen. Auf sozialen Netzwerken wie Facebook finden sich private Fotos und persönliche Informationen, die rein theoretisch von allen Internetnutzern einsehbar sind, wenn entsprechende Vorsichtsmaßnahmen nicht getroffen werden. Das hat sich auch bei den Behörden rumgesprochen. So gleicht die Polizei seit Langem die Aufnahmen von Blitzern mit den auf Facebook eingestellten Fotos ab. So manchem Raser ist man so schon auf die Spur gekommen.

Da kann es nicht verwundern, wenn »Bild« nun meldet, auf Facebook laufe eine »Jagd auf Hartz-IV-Betrüger«. Demnach warne der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar davor, dass Mitarbeiter von Jobcentern soziale Netzwerke gezielt nutzen, »um Leistungsbezieher auszuschnüffeln«. So hätten sich schon mehrere Jobcenter an seine Behörde gewandt, um zu erfahren, »ob sie Internet-Daten verwenden dürfen«, sagte Schaar der »Bild«. Die hatte auch gleich ein (natürlich fiktives) Szenario parat: »Ein Arbeitsloser gibt sich im Jobcenter als mittellos aus, postet aber bei Facebook seinen neuen Wagen.« Schnüffeln die Jobcenter also bereits im Privatleben ihrer Kunden?

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wies die Mutmaßungen von »Bild« am Freitag zurück: »Der Zugang zu sozialen Netzwerken ist auf allen Rechnern der Arbeitsagenturen und der gemeinsam mit den Kommunen betriebenen Jobcenter gesperrt.« Auch die Vermutung, »die Suche könne über einen privaten Account von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschehen, ist an den Haaren herbeigezogen«, heißt es in einer Pressemitteilung der BA.

Und auch beim Bundesdatenschutzbeauftragten wiegelt man auf nd-Anfrage ab: Entsprechende Anfragen habe es zwar gegeben, so eine Sprecherin der Behörde gegenüber nd, aber nur »im Rahmen eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches mit den Geschäftsführern von Jobcentern«.

Allerdings ist die Nutzung der Facebook-Daten nicht vollkommen tabu: »Jobcenter sollten von Recherchen in Internetsuchmaschinen und sozialen Netzwerken nur ausnahmsweise Gebrauch machen«, heißt es dazu im aktuellen Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten. So könne auf die Daten zurückgegriffen werden, wenn »die Erhebung (...) nicht beim Betroffenen selbst erfolgen kann«. Dafür müssen aber »erste konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorliegen«. Das heißt, unter bestimmten Umständen dürfen die Jobcenter schnüffeln, müssen den Betroffenen aber darüber informieren.

Dass zumindest die Arbeitsagenturen das Internet nutzen, um mehr über ihre Schützlinge zu erfahren, ist belegt. Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forums (ELO), sind Fälle bekannt, »wo Arbeitslose von Sachbearbeitern aufgefordert wurden, bei uns im Online-Forum eingestellte Dokumente wieder zu entfernen«. Das Erwerbslosen Forum betreibt eine der größten Internetplattformen für Arbeitslose. Einige hatten in ihrer Wut über falsche Bescheide vom Amt, diese auf der Webseite veröffentlicht. So sei man ihnen auf die Spur gekommen, weiß Behrsing. Das bedeutet, Mitarbeiter der Arbeitsagenturen beobachten ihre »Kunden« bereits im Internet. Aber Martin Behrsing und seine Mitstreiter beobachten ihrerseits, wer das Online-Forum besucht. »Wir können sehen, von welchen Servern der Zugriff erfolgt. Daher wissen wir, dass die Arbeitsagenturen sehr häufige Besucher unserer Webseite sind«, so Behrsing.

Und nicht nur die Arbeitsagenturen interessieren sich für die Inhalte. Im Jahre 2007 forderte der Staatsschutz von Behrsing die Herausgabe der Daten von Besuchern seiner Seite. Der Grund: In einem Forum hatten Nutzer Verständnis geäußert für eine unblutige Geiselnahme in einem Aachener Jobcenter »Was mich dabei wundert: Wieso kommt das nicht öfter vor?«, schrieb einer der unbekannten Teilnehmer. Daraufhin ermittelte der Staatsschutz wegen Volksverhetzung. Behrsing sollte die entsprechenden Daten rausrücken: »Das konnte ich aber nicht«, so Behrsing. »Wir speichern keine personenbezogenen Daten«. Peter Schaar wäre begeistert.

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