Schwarm drüber!

Der Berliner Künstler Sven Sören Beyer eröffnete das Festival im norwegischen Bergen

  • Thomas Irmer
  • Lesedauer: 2 Min.

Zwei Dutzend Minihubschrauber mit LED-Leuchten schweben in Sternbildformation über der großen Bühne im pittoresk hügeligen Zentrum von Bergen. Diesem Spektakel eines aufregend eleganten Drohnen-Balletts schaut man gern zu, Verteidigungsminister hin oder her. Eine Stunde vor Mitternacht blaut der sommernordische Himmel und ein vielstimmiger Chor hebt das visuelle Großereignis mit auf- und absurrenden Philip-Glass-Phasen ins musikalisch Erhabene. »Murmuration« heißt die frei zugängliche Eröffnungsperformance von Sven Sören Beyer und seiner Multimedia-Tüftler-Truppe Phase 7.

Der vielleicht im Theater an den Volksbühnen-Aufstörer »Mur- melmurmel« von Herbert Fritsch erinnernde Titel entstammt der Biologie und bezeichnet das Schwarmverhalten von Vögeln, bei dem alle wie choreographiert ihre Flugrichtungen gemeinsam ändern. Es gibt allerdings keinen ausgemachten Führer, und gerade dieses Phänomen, die Schwarmintelligenz, beschäftigt seit einiger Zeit auch Künstler. Hypnose des Kollektivs, lautet die Frage, Augen und Ohren auf fürs staunende Publikum - Schwarm drüber, sozusagen.

Der Berliner Sven Sören Beyer arbeitet seit vielen Jahren an der Verbindung von Musiktheater und Computerkunst und somit an der Bruchlinie, wie die Aufführung von Musik als szenische Darbietung in diesem Jahrhundert noch einmal spannend werden kann. Der Eröffnungsauftritt in Bergen, wo Beyer als Festivalgeheimtipp in etwa so gut bekannt ist wie im alle Novitäten stets aufmerksam kontrollierenden Berlin, dürfte die Frage nach Phase 7 als internationales Ereignis endgültig beantworten. Seine imposant ferngelenkten Mini-Hubschrauber und überwältigend dirigierten Chöre sind hier das Ereignis - und eine Überraschung, die in Bergen von allen mit Begeisterung aufgenommen wird. Spektakel hoch zwei, und Kunst außerdem. Der neue Intendant des seit Jahrzehnten beinahe so wie Salzburg renommierten Bergen-Festivals, Anders Beyer, hat Phase 7 nicht nur als Spektakel bestellt. Der Däne sieht die Musiktheater-Frickler mit ihrer Hightech-Bastelei praktisch als Zukunft der Performance-Kunst.

Auch »neither«, Sven Sören Beyers geniale Inszenierung der Beckett-Oper von Morton Feldman mit der norwegischen Sängerin Eir Inderhaug und einem vom deutschen Fraunhofer-Institut technisierten Überwältigungsorchester, gehört zum internationalen Durchbruch des Regie-Pioniers aus der Hauptstadt. Etwas kokett sagt Beyer, dass man in Hongkong schon größere Räder gedreht habe. Die Meisterprüfung folgt nun als Hubschrauber-Ballett im hellen Norden.

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