Ein Stück China in Westberlin

Dagmar Yu-Dembski porträtiert ihre »deutsch-chinesische Familie«

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

»Berlins Chinakönig tot auf dem Ku'damm!« titelt BILD 1976, als der chinesische Restaurant- und Barbesitzer Yu (Canton, Hongkong Bar) mit nur 57 Jahren vor seinem Geschäft zusammenbricht und stirbt. Geboren 1919 in der Provinz Guangzhou war er, wie viele andere junge Chinesen »aus gutem Haus«, 1936 zum Studium nach Deutschland gekommen. Bald verliebte er sich in eine ebenso hübsche wie ehrgeizige Deutsch-Russin. Für sie war Yu die Chance, aus der in ihren Augen wenig standesgemäßen Armut ihrer Familie herauszukommen. Auf Grund der rassistischen NS-Politik, die binationale Ehen verbot, konnte das Paar jedoch erst 1945 heiraten. Die Tochter Dagmar kam bereits 1943 zur Welt.

Sie lesen sich nett, ihre Erinnerungen einer »Chinaprinzessin«, die jetzt bei Edition Ebersbach erschienen sind. Ein bisschen sprunghaft und ohne großen literarischen Anspruch geschrieben, ist das Bändchen, obwohl vom Verlag als »autobiografischer Roman« beworben, wohl eher Dokumentation als Fiktion. Immerhin: Die Geschichte selbst ist spannend genug.

Yus turbulentes Leben im bald ummauerten Westberlin geht unberührt von den weltpolitischen Verwerfungen der Nachkriegszeit abwechslungsreich weiter. Ein Sohn wird geboren, Dagmars kleiner Bruder. Und der angehende Ingenieur Yu sattelt um und wird als Gastronom und Barbesitzer bald eine der schillerndsten Gestalten der High Society der Stadt.

Zusammen mit der chinesischen Community versucht er, ein Stück China nach Deutschland zu holen. In jenen Jahren ist die (Charlottenburger) Kantstraße - wo es heute übrigens wieder die größte Vielfalt chinesischer Kochkunst gibt - ein tatsächliches Chinatown. Restaurants wie das »Canton« (am Stuttgarter Platz) präsentieren sich als authentisch gestaltete chinesische Wohnzimmer in der Fremde, mit Seidentapeten an den Wänden und allem, was - nach Meinung der aus China eingewanderten Designer und Gäste - dazu gehört.

Irgendwann trennt sich Yu von seiner vom sozialen Aufstieg besessenen Frau und zieht mit einer Chinesin zusammen. Der Sohn bleibt bei der Mutter, die fortan nichts mehr mit China zu tun haben will. Dagmar verliert den Kontakt zu ihr.

Ein paar Jahre nach dem Tod Yus wagt die Tochter erste Versuche, die Heimat und die Sprache des Vaters zu verstehen und eine eigene Identität als Deutsch-Chinesin zu entwickeln. 1980 unternimmt sie mit der deutsch-chinesischen Freundschaftsgesellschaft eine erste Reise nach China. Auch das beschreibt sie in ihrem Buch. Ihre Identitätssuche und -findung auf Umwegen ist zugleich witzig und berührend. Über die skurrilen Situationen, in denen sie, die chinesisch aussehende Reisende, den Gastgebern in China erklären muss, dass sie keine Chinesin ist, und kein Chinesisch spricht, wird sie schließlich zu der »Chinaprinzessin«, die ihre Schulfreundinnen in Berlin viele Jahre zuvor in ihr sahen.

Dagmar Yu-Dembski ist heute Vorsitzende der Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft Berlin und Geschäftsführerin des Konfuzius-Instituts der Freien Universität Berlin. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift »Das neue China«. 2007 erschien ihr Band »Chinesen in Berlin«, gefolgt von ihrem Kinderbuch »Lilli und das chinesische Frühlingsfest«.

Dagmar Yu-Dembski: Chinaprinzessin. Meine deutsch-chinesische Familie. Edition Ebersbach. 144 S., geb., 18 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal