Konträre Erfahrungen

Vietnam, Berlin, Bonn

  • Bernhard Igel
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Buch »Berlin-Bonn-Saigon-Hanoi« bietet sich dem Leser als populärwissenschaftliche historische Pionierarbeit dar. Hellmut Kapfenberger schreibt als Chronist und beteiligter Zeitzeuge, nicht als bestallter Geschichtswissenschaftler. Wenn jemand dazu berufen ist, sich als Autor dieses widerspruchsvollen und ereignisreichen Komplexes fernöstlicher nationaler, europäischer und der Weltgeschichte anzunehmen, dann ist das Hellmut Kapfenberger, der als Korrespondent für ND den wesentlichsten Teil seines Berufslebens in Südostasien, insbesondere Hanoi, verbracht hat hat.

Die Publikation spannt den Bogen von den ersten Begegnungen deutscher und vietnamesischer Politiker 1928 in Berlin bis hin zu dem »uneinheitlichen« Festivaljahr 2010. Erfasst und durchleuchtet werden globale politische Zusammenhänge in ihren lokalen Auswirkungen und umgekehrt. Mit seinen akribischen Darlegungen verfolgt der Autor das Ziel, »Vergangenes nicht Vergangenheit sein zu lassen«, sondern sie, um der friedlichen Gestaltung von Gegenwart und Zukunft willen durchschaubar und produktiv zu machen. Vorrangig dargestellt sind die über drei Jahrzehnte währenden ausgeprägten solidarischen Beziehungen zwischen der DDR und der SRV, deren Nachwirkungen in Vietnam bis heute nicht verblasst und schon gar nicht vergessen sind, sowie die aggressive antikommunistische Politik der Westmächte mit indirekter und direkter westdeutscher Beteiligung. Beiden deutschen Staaten werden sehr unterschiedliche Zeugnisse in ihrem Verhalten zu Vietnam ausgestellt. Die Begriffe »Moritzburger« (das sächsische Jagd- und Barockschloss war zu DDR-Zeiten Ausbildungsstätte für Vietnamesen) und »Fremdenlegionäre« stehen für das konträre Verhältnis der DDR und BRD zum vietnamesischen Volk in seinem opferreichen Kampf um nationale Freiheit und Unabhängigkeit. Einzelschicksale wie das des Deutschen ErwinBorchers (Nguyen Chien Si), Kämpfer in der vietnamesischen Armee, sowie das Schicksal junger deutscher Fremdenlegionäre in französischem Sold, die in der legendären Schlacht von Dien Bien Phu einen sinnlosen und schrecklichen Tod fanden, dokumentieren die unterschiedlichen Positionen.

Das Buch lebt von seinem geordneten und bewertenden Informationsreichtum sowie den akribisch recherchierten Realien; es bezieht seine Überzeugungskraft aus der politischer Haltung des Autors sowie dem Reichtum eigenen Erlebens. Was gesagt wird, wird parteinehmend gesagt. Die Sprache ist lebendig, anschaulich und eindringlich. »Berlin-Bonn-Saigon-Hanoi« ist kein »Vietnam-Buch« schlechthin, sondern ein »Lehrbuch« von ruhig-sachlicher, kritischer und politisch ehrlicher Aufarbeitung ost- und westdeutscher sowie vietnamesischer Geschichte in ihren Wechselbeziehungen. Es ist das Bekenntnis eines streitbaren Menschen zu seiner Tagesarbeit als Journalist und einem arbeitsreichen Leben im Dienst von Menschlichkeit und Fortschritt. Gedankt sei dem Autor, aber auch dem Verleger für die gediegene Edition.

Hellmut Kapfenberger: Berlin-Bonn-Saigon-Hanoi. Zur Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen. Verlag Wiljo Heinen. 506 S., br., 19,80 €. Der Buchautor liest heute, 10 Uhr, in der Gaststätte »Olivenbaum«, Breite Straße 33, Berlin-Pankow.

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