Sorglosigkeit mit tückischer Folge

Geschlechtskrankheiten breiten sich in Deutschland wieder stärker aus

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Dass man bei sexuellen Kontakten Krankheiten übertragen kann, ist zwar allgemein bekannt. Die meisten jedoch verbinden diese Gefahr heute vornehmlich mit Aids. Daneben sind aber auch die klassischen Geschlechtskrankheiten wieder auf dem Vormarsch.

Fast eine Generation lang mussten Ärzte, die in Deutschland die Symptome der Syphilis studieren wollten, ins Lehrbuch schauen. Das ist heute anders. Nach Berichten des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat die Zahl der Syphilis-Neuerkrankungen in den letzten Jahren massiv zugenommen. Wurden zwischen 1995 und 2000 jährlich etwa 1150 Fälle gemeldet, sind es derzeit rund 4600, Tendenz steigend.

Aber auch bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen zeigt die Kurve der Fallzahlen nach oben. So erkranken derzeit jährlich ca. 16 000 Menschen an Gonorrhoe (Tripper); rund 80 000 infizieren sich mit Humanen Papillomviren. An der Spitze der Statistik stehen jedoch die Chlamydien-Infektionen. Fast 100 000 Menschen sind davon jedes Jahr in Deutschland neu betroffen, darunter besonders viele Frauen unter 25 Jahren. Die ersten Symptome dieser bakteriellen Infektion - brennende Schmerzen beim Wasserlassen und leichter Ausfluss - werden jedoch häufig nicht ernstgenommen. Deshalb bleibt die Erkrankung vielmals unentdeckt und kann, wenn sie nicht mit Antibiotika behandelt wird, zum Verschluss der Eileiter und zur Unfruchtbarkeit führen.

Alles andere als harmlos sind auch die Humanen Papillomviren (HPV), von denen einige Typen sogar Gebärmutterhalskrebs auslösen können. »Dennoch wird die Schutzimpfung gegen HPV nur von 30 Prozent der jungen Frauen in Deutschland genutzt«, kritisiert Rudolf Stadler, der Präsident der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG). In den USA und anderen Ländern Westeuropas liege die Rate bei 70 bis 90 Prozent. Und obwohl Männer weniger gefährdet seien, sollten auch sie geimpft werden, meint Stadler, da man sich mit HPV beim Sex ebenso anstecken könne wie beim Petting.

Was aber sind die Gründe für die neuerliche Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten? Nicht unerheblich dürfte sein, dass Menschen älter werden und daher länger sexuell aktiv bleiben. Zudem hat sich das Sexualverhalten verändert. So geht aus neueren Untersuchungen hervor, dass häufig praktizierter Oralverkehr das Risiko für Infektionen im Mund- und Rachenraum erhöht. Und: Seit HIV dank moderner Therapien nicht mehr als Todesurteil gelte, so Stadler, sei auch bei Homosexuellen die Sexualität weniger auf Sicherheit orientiert. Ungeschützter Sex kann jedoch leicht zu einer Reinfektion mit HIV sowie dazu führen, dass aufgrund der angegriffenen Schleimhäute bei HIV-Infizierten eine zusätzliche Ansteckung mit Gonorrhoe erfolgt. Aber auch umgekehrt kann eine Gonorrhoe-Infektion den Körper anfälliger für HIV machen.

Bekanntlich gibt es gegen Gonokokken, die Erreger des Trippers, wirksame Antibiotika. Viele halten Gonorrhoe daher für eine Art Kavalierskrankheit. Außerdem lässt sich durch die Verwendung von Kondomen die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum reduzieren. Denn Gonokokken werden in der Regel durch direkten Schleimhautkontakt übertragen, also durch ungeschützten vaginalen, oralen oder analen Geschlechtsverkehr. Gleichwohl ist die Gefahr nicht gebannt. Man kennt nämlich inzwischen zahlreiche Gonokokken-Stämme, die gegen die bisher gebräuchlichen Antibiotika Resistenzen entwickelt haben. In Japan sind sogar nahezu komplett resistente Gonokokken aufgetaucht.

Es ist ohne Zweifel ein zivilisatorischer Fortschritt, dass es heute jedem Menschen selbst überlassen bleibt, welche Art von Sexualität er praktiziert. Eines wird dabei allerdings häufig vergessen: Das Risiko, sich mit einer Geschlechtskrankheit zu infizieren, tragen nicht nur einige »Randgruppen«. DDG-Präsident Stadler fordert daher eine bessere Aufklärung für alle. Diese sollte bereits in der Schule beginnen und später im Arzt-Patienten-Gespräch fortgesetzt werden - beim Dermatologen ebenso wie beim Hausarzt.

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