nd-aktuell.de / 30.05.2013 / Kultur / Seite 17

Optimist & Sozialist

Eduard Goldstücker

Theodor Bergmann

Als ich im Oktober 2000 mal wieder in Prag weilte, wollte ich ihn erneut besuchen. Seine Antwort am Telefon: »Machen Sie Ihre Arbeit; sie ist wichtig für die Erneuerung der kommunistischen Bewegung. Die große Veränderung, die kommen muss, erlebe ich nicht mehr; mir geht es schlecht. Sie sollten mich nicht besuchen.« Zwei Tage später, am 23. Oktober, starb Eduard Goldstücker.

Der vor 100 Jahren als Sohn eines kleinen jüdischen Holzhändlers im slowakischen Gebirgsdorf Podbiel, Kreis Tvrdosin, Geborene war als Gymnasiast in Kosice dem zionistisch-marxistischen Hashormer hazair beigetreten und später an der Prager Universität der kommunistischen Studentenorganisation. Er beteiligte sich aktiv am antifaschistischen Kampf und musste nach dem Münchner Abkommen 1938 mit seiner Frau Martha emigrieren. In Oxford beendete er sein Studium und trat in den diplomatischen Dienst der tschechoslowakischen Exilregierung in London. Nach der Befreiung nach Prag zurückgekehrt, wurde er der erste Botschafter seines Landes in Israel. Anfang der 50er Jahre geriet jedoch auch er in die von Stalin initiierte antisemitische Kampagne. Goldstücker wurde aus Tel Aviv abberufen, verhaftet und beschuldigt, Vermittler zwischen dem bereits zum Tode verurteilten KP-Chef Rudolf Slansky und einem englischen Geheimagenten gewesen zu sein. Goldstücker wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, saß zunächst in den Zuchthäusern von Prag und Leopldov und kam dann nach Jachymov, einer Festung aus dem 12. Jahrhundert in Westböhmen. Die letzten Monate arbeitete er im Uranbergbau und lebte in einem Lager, das »Gleichheit« hieß. Dank des politischen Tauwetters unter Nikita Chruscht-schow wurde er 1955 entlassen und rehabilitiert.

Goldstücker arbeitete nun an der Prager Karls-Universität als Professor für Literaturwissenschaften, Dekan seiner Fakultät und Prorektor. 1963 organisierte er die berühmte Kafka-Konferenz in Liblice (s. »nd« v. 25./26.5.), mit der eine geistige Öffnung begann. Als Leiter des Schriftstellerverbandes und Mitglied des ZK der KPC war Goldstücker einer der Vordenker und Vorkämpfer des Prager Frühlings von 1968, der mit dem Einmarsch der »Bruderländer« gewaltsam abgewürgt wurde. Goldstücker musste zum zweiten Mal emigrieren, lebte mit seiner Frau in Brighton und lehrte an der dortigen Universität. Die zweite Emigration dauerte 21 Jahre. Ab Anfang 1990 wieder in Prag war der linke Intellektuelle auch für die bürgerlichen Sieger über den reformunfähigen Kommunismus unbequem. Doch er blieb Optimist und Sozialist. Seine jüdischen Wurzeln hat er nie verleugnet, indes dachte er stets über nationale Grenzen hinaus und hatte auf eine internationalistische Lösung der jüdischen Frage gehofft. Diese Hoffnung hat der deutsche Faschismus mit Auschwitz zerstört. So mussten auch Kommunisten die zionistische Lösung als die zweitbeste annehmen.

Eduard Goldstücker schrieb mehrere Bücher über Kafka; seine Memoiren sind unter dem Titel »Prozesse. Erfahrungen eines Mitteleuropäers« erschienen.