nd-aktuell.de / 01.06.2013 / Brandenburg / Seite 16

Einwohner weg, Geld weg

In Berlin wohnen 180 000 weniger Menschen, in Brandenburg 43 000

Wilfried Neiße und Bernd Kammer

In Berlin und Brandenburg leben weniger Menschen als bisher angenommen, und sie werden immer älter. Obwohl diese Situation dem bundesweiten Trend entspricht, könnte sie für Berlin gravierende Auswirkungen haben, weil der Bevölkerungsrückgang hier besonders hoch ist, was Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich haben wird.

Das Land Berlin hat rund 180 000 Einwohner weniger, als die Statistik bisher für das Jahr 2011 auswies. Dies teilte Ulrike Rockmann, Leiterin des Statistikamtes Berlin-Brandenburg, gestern bei der Vorstellung der Ergebnisse der jüngsten Volkszählung mit. Demnach besaß Berlin zum Stichtag 9. Mai 2011 lediglich 3,29 Millionen Einwohner. Das waren 5,2 Prozent weniger, als die bis dato geltende Bevölkerungsfortschreibung ausgewiesen hatte. In keinem anderen Bundesland ist die Abweichung so groß. Zum Vergleich: 180 000 Menschen entsprechen beispielsweise der Einwohnerzahl einer Stadt wie Saarbrücken.

Bei der Frage, wie es dazu kommen konnte, wies Rockmann darauf hin, dass in erster Linie jene Ausländer die Ursache seien, die aus Berlin beziehungsweise aus Deutschland wegziehen. Denn diese sehen keinen Sinn darin, sich hier bei den Behörden abzumelden. 60 Prozent der Differenz gehen Rockmann zufolge allein auf das Konto dieser Gruppe. Der Rest sind Menschen der »mobilen Generation«, die es mit dem An- und Abmelden auch nicht so genau nehmen.

Grundlage der Bevölkerungsfortschreibung waren die Ergebnisse der Volkszählung in der Bundesrepublik 1987. Hinzu rechnete man 1991 die letzten Zahlen der DDR. Danach wurden die Zuzüge addiert und die Wegzüge subtrahiert - allerdings eben nur die bei den Behörden gemeldeten. Desgleichen wurden Geburten und Sterbefälle hinein- beziehungsweise herausgerechnet. Doch je länger diese Bevölkerungszahl fortgeschrieben wurde, um so stärker wich das errechnete Ergebnis von tatsächlichen Stand ab.

Eine solche Abweichung bei der Bevölkerungszahl lässt sich auch für Brandenburg nachweisen, doch ist sie hier aufgrund des geringeren Ausländeranteils deutlich kleiner. Brandenburg hatte zum 9. Mai 2011 rund 2,455 Millionen Einwohner, mithin 43 500 oder 1,7 Prozent weniger als errechnet. Während knapp ein Viertel der Berliner einen Migrationshintergrund haben, sind es in Brandenburg 4,4 Prozent.

In Brandenburg haben die Einwohnerzahlen auch Einfluss auf das Geld, das die Kommunen vom Land bekommen. Auch die Besoldung von Bürgermeistern und die Anzahl der Gemeindevertreter hängt davon ab. Es sei jedoch nicht zu befürchten, »dass jetzt eine Gemeinde Konkurs geht«, so die Statistiker.

Das ist natürlich auch in Berlin nicht zu erwarten. Aber weil die Finanzkraft je Einwohner Basis für die Berechnung des Länderfinanzausgleichs ist, drohen laut Finanzsenator Nußbaum (parteilos) Mindereinnahmen von fast einer halben Milliarde Euro jährlich. Und das wahrscheinlich rückwirkend ab 2011. Nußbaum spricht von einem »Rückschlag für den Konsolidierungskurs«.

Berlin und Brandenburg schrumpften nicht nur, sie wurden auch älter. Denn die Einwohnerrückgänge waren besonders hoch bei den Altersgruppen der Drei- bis unter Sechsjährigen und Sechs- bis unter 15-Jährigen. In Berlin lag er bei jeweils über 25 Prozent, in Brandenburg sogar bei fast 50 Prozent.

Rätselhafterweise gibt es auch bei der penibel operierenden Wohnraum- und Gebäudestatistik messbare Differenzen zwischen Soll und Haben. Berlin verfügte zum Stichtag über 1,841 Millionen Wohnungen in Wohnhäusern, fast 40 000 beziehungsweise 2,1 Prozent weniger als bislang angenommen. Auch der Leerstand von Wohnungen ist mit 3,6 Prozent (im Jahr 2011!) deutlich niedriger. Deshalb sieht man in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch keinen Anlass für einen Kurswechsel in der Baupolitik. »Wir werden unsere Planungen für den Wohnungsbau fortsetzen, denn die Stadt wird weiter wachsen«, so Sprecherin Daniela Augenstein.

In Brandenburg gab es am Stichtag 1,243 Millionen Wohnungen in Wohnhäusern und damit etwa 15 000 oder 1,2 Prozent weniger als zuvor gedacht. Bei der Zahl der Wohnhäuser registrierte die Statistik jedoch einen Zuwachs von immerhin 1,8 Prozent.