nd-aktuell.de / 05.06.2013 / Ratgeber / Seite 25

Klare Worte des Bundesverfassungsgerichts

Streit um Altanschließer

Seit Jahren streiten sogenannte »Altanschließer« in den neuen Bundesländern gegen die Erhebung von Beiträgen durch Kommunen und Zweckverbände für Altanschlüsse an Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung, die zugunsten der Grundstücke bereits zu DDR-Zeiten erfolgten.

Immer wieder haben die Gerichte bis in höchste Instanzen die Beitragserhebung für rechtens erklärt, insbesondere weil es in vielen Fällen lange Zeit keine wirksame Satzung gab, die die Beitragserhebung legitimierte und erst mit dieser eine Beitragspflicht entsteht.

Zuletzt hatte das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VfGBbg 46/11) am 21. September 2012 die Verfassungsbeschwerde eines Altanschließers für unbegründet erachtet. Der war im Januar 2005 zu einem Herstellungsbeitrag für die Abwasserentsorgung von einem Zweckverband herangezogen worden, obwohl sein Grundstück bereits zu DDR-Zeiten über einen Anschluss an die zentrale öffentliche Abwasserentsorgung verfügt hatte. Es stelle - so das Gericht - keinen unzulässigen Grundrechtseingriff dar. Es würden nur die Kosten umgelegt, die nach dem Beitritt entstanden seien. Und dies widerspräche nicht dem Grundsatz des Vertrauensschutzes.

Hoffnung ist nunmehr mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. März 2013 (Az. 1 BvR 2457/08) aufgekeimt, dass in solchen Fällen, wie auch grundsätzlich bei der Erhebung kommunaler Beiträge, gesetzlichen »Auswüchsen«, die oft nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte nach Erlangung des mit dem Beitrag abzugeltenden wirtschaftlichen Vorteils die Erhebung von Beiträgen erlauben und eine solche Praxis legitimieren, ein Riegel vorgeschoben wird.

Das BVerfG hat beeindruckend klare und einfache Worte im Hinblick auf ein juristisches Phänomen gefunden, das ohnehin von vielen Laien nicht nachvollziehbar ist: »Abgaben zum Vorteilsausgleich dürfen nicht zeitlich unbegrenzt nach der Erlangung des Vorteils festgesetzt werden. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und dem Interesse des Beitragsschuldners an Klarheit über seine Inanspruchnahme zu schaffen.« Damit wurde das Interesse des Beitragsschuldners betont, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

Nacherhebungsbescheid kam nach zwölf Jahren

Der Fall aus Bayern war zunächst nicht sehr spektakulär. Nach bayerischem Landesrecht können kommunale Beiträge innerhalb einer Frist von vier Jahren festgesetzt werden, wobei die Frist im Regelfall mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Beitragspflicht entstanden und dies im Falle einer ungültigen Beitragssatzung erst der Ablauf des Kalenderjahres ist, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht wurde. So kam es, dass der Beschwerdeführer, 1992 bis 1996 eingetragener Eigentümer eines an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstückes, trotz bereits 1992 von der Gemeinde getroffener Feststellungen zum Ausbau eines Dachgeschosses des Gebäudes, erst im April 2004 einen Nacherhebungsbescheid über einen Kanalherstellungsbeitrag erhielt, nachdem zwischenzeitlich eine Satzung unwirksam war, geheilt werden musste und dies auch während des Widerspruchsverfahrens in ähnlicher Weise erfolgte: Satzungen wurden jeweils rückwirkend neu in Kraft gesetzt und bekannt gemacht.

Das BVerfG gab dem Beschwerdeführer Recht und hielt die Verfassungsbeschwerde für begründet. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit wurde durch die gesetzliche Normierung im Bayerischen Kommunalabgabengesetz in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verletzt.

Dem staatlichen Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten steht auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber. Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, hat der Gesetzgeber jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können.

Das sieht das BVerfG darin begründet, dass die Legitimation von Beiträgen in der Abgeltung eines Vorteils liegt, der dem Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung aber zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung eines solchen Beitrags. Der Bürger darf zu einem immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgang nicht dauerhaft im Unklaren darüber gelassen werden, ob er noch mit Belastungen rechnen muss, denn diese sind ihm im Laufe der Zeit immer weniger zumutbar. Soweit also bei Beiträgen zum Vorteilsausgleich an zurückliegende Tatbestände angeknüpft wird, ist eine zeitliche Begrenzung der Inanspruchnahme verfassungsrechtlich geboten.

Rechtsstaatlicher Vertrauensschutz

Klare Worte des BVerfG auch zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz. Dieser begrenzt die Befugnisse des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen. Dabei gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. So wie dies hier der Fall war, da mangels gültiger Satzung der Lauf der Verjährungsfrist zur Festsetzung der Beiträge formalrechtlich bei Bescheidversendung noch nicht abgelaufen war.

Es besteht ein Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, das davor schützen soll, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können.

Indem die Regelung im Bayerischen Kommunalabgabengesetz erlaubte, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen, hat der Gesetzgeber einen gerechten Interessenausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse und der Erwartung des Beitragspflichtigen verfehlt und eine den Beitragsschuldner einseitig belastende Regelung getroffen.

Die Konsequenzen des Bayern-Falles

Nun haben Diskussionen angesetzt, ob dieser konkrete Fall aus Bayern Konsequenzen auch für die Beitragserhebung von Altanschließern hat. Löst man sich von der komplizierten rechtlichen Dogmatik, die sich zweifellos in den jeweiligen landesgesetzlichen Regelungen verbirgt, so sind die Aussagen des BVerfG doch im Kern klar und eindeutig: Soll der Bürger für einen Vorteil zahlen, der ihm bzw. seinem Grundstück zukommt, so muss das Gesetz so ausgestaltet sein, dass die Beitragserhebung zeitnah nach dem in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen Vorgang erfolgt und dies somit für den Bürger überschaubar bleibt.

Überträgt man diesen Gedanken auf die Problematik der Altanschließer, fällt es nicht schwer, die Unzulässigkeit der Beitragserhebung zum jetzigen Zeitpunkt festzustellen, zu dem bei vielen in Anspruch genommenen Grundstücken keinerlei spürbare Veränderung des gegebenen Sachverhaltes des Anschlusses ihres Grundstücks an die öffentliche Ver- bzw. Entsorgung gegenüber DDR-Zeiten festzustellen ist.

Man darf gespannt sein, wie die jeweiligen Landesgesetzgeber reagieren. Die in Anspruch genommenen Beitragspflichtigen haben sehr wohl das Signal des BVerfG verstanden, das ihnen ein Recht auf Vorhersehbarkeit einer Belastung in zumutbarer Zeit zum erlangten Vorteil zuspricht.

Frank Auerbach
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Berlin