nd-aktuell.de / 05.06.2013 / Politik / Seite 2

Terrorist oder Friedensengel

Anklage sieht Wikileaks als Umweg zu Al Qaida / Bradley Manning wollte aufklären

Max Böhnel, Boston
Was niemand wissen sollte, machte der Obergefreite der US-Army Bradley Manning weltöffentlich - von Geheimdiplomatie bis Irak-Krieg. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe. Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, hofft derweil auf freies Geleit in ein Asylland. Weit über den Gerichtssaal hinaus wird über die Motive von Manning und Assange gestritten.

Vor dem Militärgericht von Fort Meade unweit Washingtons läuft seit Wochenbeginn der Prozess gegen den Obergefreiten Bradley Manning. Er hatte im Februar ein Teilgeständnis zum größten Datenleck der USA-Geschichte abgelegt. Die Anklage will, dass Manning als »Verräter« für immer hinter Gittern verschwindet. Für seine Verteidiger und Unterstützer ist er ein Held, der die Wahrheit über den Krieg an die Öffentlichkeit brachte.

Bradley Manning habe Osama bin Laden unterstützt. Auf diese Strategie legen es die Ankläger in Fort Meade an, folgt man den Protokollen der Anhörungen vor dem Prozess. Der 25-Jährige ist in 22 Punkten angeklagt. Der am schwersten wiegende Vorwurf besagt, Manning habe laut Paragraf 104 der Militärjustiz den »Feind unterstützt«. Die Anklage versucht in dem voraussichtlich drei Monate dauernden Verfahren nachzuweisen, dass der Angeklagte wissentlich Geheiminformationen an Al Qaida weitergab - auf dem Umweg über Wikileaks.

An die Enthüllungswebseite hatte der Nachrichtenauswerter Manning aus Irak eine gute Viertelmillion Dokumente geschickt. Darunter befanden sich nicht nur peinliche Depeschen des USA-Außenministeriums, sondern auch Videoaufnahmen aus Irak und Afghanistan, die mörderische Jagden von USA-Soldaten auf Zivilisten zeigen. Das bekannteste ist das Video »Collateral Murder«. Es zeigt aus der Sicht einer USA-Einheit von einem Apache-Hubschrauber aus, wie die johlende Crew im Juli 2007 Zivilisten und zwei Journalisten ins Visier nimmt und umbringt.

Die Anklage versucht nachzuweisen, dass Osama bin Laden aus seinem pakistanischen Versteck heraus einen Vertrauten per Brief aufgefordert hatte, die Wikileaks-Dokumente herunterzuladen - und sie erhielt. Dafür will das Gericht einen anonym bleibenden Soldaten hören, der den Computer bin Ladens im Mai sicherstellte. Gegen den Einspruch der Verteidigung hatte Militärrichterin Denise Lind bei Voranhörungen die angebliche Verbindung Manning-Al Qaida als prozessrelevant zugelassen.

Er habe niemandem schaden wollen, sondern geglaubt, eine Auseinandersetzung über »unser Militär und unsere Außenpolitik« auslösen zu können, sagte Manning im Februar bei einer Anhörung. Er bekannte sich in zehn der 22 Anklagepunkte schuldig, einer davon betrifft die Weitergabe von Geheimdokumenten. Zwischen November 2009 und Mai 2010 hatte Manning, 60 Kilometer von Bagdad entfernt stationiert, die Dateien heruntergeladen und an Wikileaks weitergegeben.

Er hatte gehofft, Militärrichterin Denise Lind würde für dieses Schuldeingeständnis den Vorwurf der Feindunterstützung fallen lassen. Doch vergeblich: Alle 22 Anklagepunkte sollen bis September verhandelt werden und in ein Urteil münden. Die Regierung besteht laut eigener Aussage zwar nicht auf der Todesstrafe, doch sieht Manning im Falle des Schuldspruchs mindestens 20 Jahren Haft entgegen.

Aus den Voranhörungen lässt sich schließen, dass Mannings Hauptverteidiger David Coombs zwei Strategien verfolgen wird. Eine zielt auf die Identitätskrise des damals 22-Jährigen ab. Der homosexuelle Manning hatte mehrmals den Wunsch geäußert, zur Frau zu werden. Darüber hinaus hatte ein Psychologe Mannings Militärtauglichkeit in Frage gestellt, weil er für sich und andere eine Gefährdung darstellen könne. Trotz der Zweifel genoss Manning Zugang zu geheimen Daten - ein Widerspruch, auf den Verteidiger Coombs hinweisen wird.

Zum anderen wird die Verteidigung den aufklärerischen Willen Bradley Mannings nachzuweisen versuchen. Schon in E-Mails mit dem FBI-Informanten, der ihn an die Behörden verriet, hatte der junge Mann die Weitergabe der Dokumente politisch und ethisch begründet. In einer E-Mail hieß es beispielsweise, er wolle »weltweit politische Debatten und Reformen auslösen«.

Die Anklage hat die gesamte Macht der Militärführung und der Washingtoner Regierung hinter sich. Präsident Barack Obama ließ schon kurz nach der Verhaftung Mannings und vor der Anklage keinen Zweifel daran, dass er den Gefreiten für einen Gesetzesbrecher hält. Dem gegenüber steht das »Bradley Manning Support Network«, das mühsam Geld für die Verteidigung sammelt.

Aus reinem Eigeninteresse verfolgen die großen Massenmedien das Verfahren aufmerksam. Denn es reiht sich ein in die strafrechtliche Verfolgung und das Abhören von Journalisten und Medien durch die Obama-Regierung.