nd-aktuell.de / 10.12.2005 / Kultur

»Sammelgebiet DDR«

Plakate, Fehlstellen und warum Angela Hampel auf die Berge steigt

Marion Pietrzok
Es hätten mehr Leute kommen können. In Berlin zum Beispiel wären es bestimmt mehr gewesen, und dort hätte man die Preise höher ansetzen können. Auch wenn man über eBay versteigert hätte, wäre der pekuniäre Ertrag höher ausgefallen. DDR ist ein »abgeschlossenes Sammelgebiet«, da sind die Preise im Steigen. Aber es geht nicht ums Geld, es reicht ja sowieso kaum, fehlt vorn und hinten. Nein, diese Versteigerung ist eher eine Benefizveranstaltung für die Galerie, der langsam der Hahn zugedreht wird: Dresden macht keine Ausnahme beim Herunterfahren der Mittel für die Kultur. Der kleine Kreis, kaum fünfzig Leute, der sich heute Abend zusammengefunden hat, ist natürlich auch kein Trupp von Schnäppchen-Jägern, typischen Sammlern oder Gönnern mit dicken Brieftaschen, sondern eine Gruppe von Freunden der Galerie. Ihnen ist klar, dass deren Überleben wichtig ist für die Kunstszene der Stadt, und nicht nur Dresdens. Auch insofern sind sie Freunde der Künstlerin. Und sie bewundern ihre Kunst, deren formale Substanz, inhaltliche Ehrlichkeit. Nichts ist hier eitle Oberfläche. Weißgleißendes Kunstlicht strahlt aus dem Untergeschoss des Gründerzeithauses an der Ecke Rähnitzgasse in der Dresdner Neustadt. Die Sitzplätze - schwarze Klappstühle - sind schon vergeben. Die Versteigerung soll in Fünf-Euro-Schritten ablaufen. Es wird ab etwa zehn bis dreihundert Euro aufgerufen, nicht hoch, aber für die hier Versammelten gerade so an der Grenze des Erschwinglichen. Spannung von Anfang an, denn alle wissen, dass hier eine einmalige Veranstaltung abläuft: Was die »galerie drei«, die vereinseigene der Künstlerinnengruppe »Dresdner Sezession 89«, hier einige Wochen ausgestellt hat und jetzt aus den Händen gibt, ist von seiner Konsequenz und seiner Geschlossenheit in einem künstlerischen Werk her einzigartig: Künstlerplakate von Angela Hampel aus 21 Jahren. Und: Durch ihre Zeitmarkierungen verknüpfen sie sich mit DDR-Geschichte. Angela Hampel ist selbst zur Versteigerung gekommen. Ein bisschen festlich in weißer Bluse mit kleinen Volants und blauen Jeans. Das lange schwarze Haar trägt sie wie immer offen, ungebändigt von der »Ungebärdigen«, wie Christa Wolf sie einmal nannte. Die beiden Frauen sind seit »den sehr kühnen Kassandra-Interpretationen« (Wolf) 1984 in bis heute andauernder Freundschaft, in Geistesverwandtschaft verbunden. Während Angela Hampel dem Geschehen folgt, überleuchten die klugheitshellen Augen der bald Fünfzigjährigen das Glühen der Wangen. Ab und zu greift sie auch schnell mal ein: Dieses Plakat kann ich später noch signieren ... Ja, dieses Exemplar ist das letzte, davon ist keins mehr in meinem »Depot« ... Erster Aufruf, ihr allererstes Plakat: eine Algrafie von 1984 für ihre Ausstellung in der Galerie Mitte, Dresden, die damals fünf Jahre bestand. Als ein Podium für künstlerischen Aufbruch war sie gegründet worden, für »progressive neue Tendenzen« - »Weite und Vielfalt« lauteten im eingemauerten Land die Losungsworte, mit der die reglementierende Partei sich den Anschein gegeben hatte, das an den in Inhalt und Form vorgegebenen Kanon Nichtangepasste unter Kontrolle zu haben. Auf dem Blatt zwei nackte Frauen, aggressiv spitzbrüstig, kniend und stehend vor leerem Grund, handschriftlich die notwendigsten Angaben zur Ausstellung. »Zu DDR-Zeiten unterlag auch das KÜNSTLER-Plakat, das von einer jungen, renitenten, um ihr Selbstverständnis ringenden Generation kam - zu der auch Angela Hampel gehörte - der missliebigen Staats-Sicherheitsdoktrin«, bemerkt Thomas Günther im Katalog zur Plakate-Ausstellung. An deren vorletztem Tag findet die heutige Versteigerung statt. Es ist - der Zufall spielt symbolträchtig mit - der 7. Oktober, DDR-Republiksgeburtstag. Und wenn es auch eigentlich »nur« um Kunst geht, um die in Kleinst-Auflagen gedruckten, originalgrafischen (in der Algrafie malerisch wirkenden) Kleinodien von Plakat - in einer Ausstellungsvitrine liegen Kopien der Stasi-Akte von Angela Hampel. Die Malerin und Grafikerin arbeitet realistisch. Im Sinne von Heiner Müller etwa, der darunter nicht einfache Abbildung verstand, sondern die Sehnsucht oder Ahnung des Möglichen. Frau und Tier (Gazelle, Jaguar, Einhorn, Schlange, Fisch, Salamander) und androgyne Wesen sind Konstanten in ihrem Figuren- und Formenvokabular seit Anbeginn. Lust- und Denkspiele. Wie auf dem Plakat »Die Schöne und das Tier«, das ihre Ausstellung in der Münchner Galerie Grimm 1986 begleitete, dem nächsten Aufruf. Wenn der Hammer gefallen ist, gibt es jedes Mal Beifall. Sehr ungewöhnlich für eine Versteigerung. Man fühlt sich zu Hause, und man denkt sich den Applaus geteilt: als Anerkennung für die Künstlerin zum einen, andererseits als Abschiedsgruß an jemanden, den man gern zum Gefährten gehabt hätte, und als Gratulation für den Glücklichen, der das Plakat erworben hat. Aber es schwingt auch hier immer etwas von der Erinnerung an den verschwundenen Staat mit. Judy Lybke, der in Leipzig seine Galerie inoffiziell betrieb, heute legendärer Privatgalerist, lud ebenfalls 1986 Angela Hampel ein. Das Plakat: Eine Schöne und ein Tier. Die nackte Frau steht auf ihm wie die Hetäre Phyllis auf dem Aristoteles. Stolz. Stark. Und scharf der Blick. Ein Bedeutungsdreiklang, der charakteristisch ist für die Hampel: Mythologisches, Privates, Gesellschaftliches. Ausdruck eines Selbstbehauptungswillens, der, auf andere Art, auch heute gilt. Frauen, nicht minder begabt und befähigt, ihre Werke in nicht minderer Qualität, sie sind immer in der Minderheit. Obwohl zwei Drittel der Kunststudenten in Deutschland weiblich sind, beim Lehrerpersonal verhält es sich umgekehrt, ebenso bei Ausstellungen, Preisverleihungen, Vergabe von Stipendien, Preisen und Jurorenposten. Allgegenwärtig die gesellschaftlichen Dressurakte, die sich gegen die Frauen, letztlich aber auch gegen die Männer richten. Sie bäumt sich dagegen auf, mit allem, was sie tut. Aber ohne die fundamentalistisch-feministische Frauen-Opfer-Optik. In der ersten, viel beachteten Retrospektive »Kunst in der DDR«, in der die Nationalgalerie 13 Jahre nach dem Ende des Staates eine »umfassende Rückschau« auf 40 Jahre Kunst präsentierte, fehlte eine Angela Hampel. Symptomatisch. Gerade weil es um das Veranschaulichen der »differenzierten und reichen Vielfalt der künstlerischen Äußerungen« ging, wie Museumsdirektor Peter-Klaus Schuster erklärte, hätte - neben einigen anderen - Angela Hampel da hingehört. Nicht etwa eines Geschlechterproporzes, sondern der Bedeutung ihres Werkes in der Kunstlandschaft DDR wegen. Es ist einzigartig. Wohl kein anderer Künstler der Gegenwart beherrscht wie sie die verschiedenen Gattungen gleichermaßen. Grafik und Malerei stehen gleichberechtigt, sie schuf ästhetisch und intellektuell äußerst anregende Installationskunst, machte Performances. Hatten die Herren Kuratoren, die, ihre umstrittene Auswahl verteidigend, sich immer auf ihre Subjektivität beriefen, etwa Angst? Karin Thomas - sie gibt sich als Kennerin der Kunst in der DDR aus, gilt als Autorität - hat dazu passende Begriffe parat, attestiert der Dresdnerin »provokant feministische Emanzipationsgestik« und »das Weibliche mystifizierende Dekadenz«. Aber solche Interpretationen des künstlerischen Impulses von Angela Hampel gehen in die Irre. Da ist nichts dekadent, nichts mystisch. Und schnell wird im Nachhinein das Politische mit dem Künstlerischen vermengt. Gewiss, das Geschlechterverhältnis war immer ein Missverhältnis. Zugespitzt gesagt: Wenn in einer Familie beide Maler waren, gehörte dem Mann das Atelier, der Frau die Kinder. Doch wenigstens waren die Rahmenbedingungen, die es der Frau trotzdem ermöglichten, ihrer künstlerischen Tätigkeit nachzugehen, damals ungleich besser als heute. Auch das gesellschaftliche Klima ist jetzt ein anderes, es gibt so eine »schleichende Minderbewertung alles Weiblichen«, beschreibt sie ihre Erfahrung, und in der Kunstszene so eine »kavalierhafte Ignoranz«. Der einzige Preis übrigens, den sie je erhielt, ist der Marianne-Werefkin-Preis - er wird ausschließlich an Künstlerinnen vergeben -, er wurde ihr 1990 zugesprochen. Gemeinsam mit der Erfurter Schriftstellerin und Lyrikerin Gabriele Kachold hatte sie zu DDR-Zeiten einiges unternommen, dass mehr über die spezifische Rolle von Frauen im Kunstbetrieb reflektiert wurde. Denn sie ist eine Tatkräftige, Couragierte. Wie die Mutter, die Großmutter, die Starken in der Familie. Keine Kriecherin, keine, die sich irgendwohinschläft. Schließlich, in der mit Hoffnung beflügelten Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, initiierte sie die Neugründung der Dresdner Sezession. Mitreißende Trotzigkeit bis heute. Seltsam, all das geht einem an diesem Abend durch den Sinn, während man doch eigentlich ganz mitgeht mit der Versteigerung. Ein weiteres Plakat, das die Galerieleiterin in weißen Baumwollhandschuhen hochhält - ein weiteres Jahr, das vorm geistigen Auge Revue passiert. Manche der angezeigten Galerien gibt es schon nicht mehr. Das letzte Plakat in der Chronologie ist eins zu einer der Ausstellungen in der Berliner Galerie Leo.Coppi. Im nächsten Jahr werden die beiden renommierten Galeristinnen auch Angela Hampels Jubiläumsausstellung ausrichten. Aber wer kauft denn noch Kunst? Dekoration ist heute vor allem gewünscht. Soll man Digedags, sechs mal zwei Meter groß, malen? Die würden wohl Geld bringen. Mehr als die Versteigerung, die jetzt beendet ist. Angela Hampel hilft beim Verpacken der Blätter. Wird ein Autogramm im Katalog gewünscht, versieht sie es zusätzlich mit einer Zeichnung. In Windeseile, souverän im Strich. Und man kommt noch ein bisschen ins Gespräch. Ins Nachdenkliche hinein, das dieser Abend mit sich gebracht hat. Es war immerhin eine Retrospektive. Was bewirkt heute kritische Kunst? Der Veränderungseffekt ist gleich Null, die Gesellschaft, die immer oberflächlicher wird, absorbiert alles. Und doch lässt man sich nicht korrumpieren. Engagiert sein und gute Kunst machen, das ist es. Natürlich muss gefragt werden, was aber ist gute Kunst? Eine, die das Herz berührt. Für diejenigen, die das Herz haben, es berühren zu lassen, für die lohnt sich die Arbeit, findet sie. Manchmal, da fliegt sie übers Kuckucksnest. Die Narben und Wunden und alles Kaputte hinter sich lassen. Unter sich, genau gesagt: Seit 1998 ist sie Bergsteigerin. Einbruch in eine männliche Bastion. Auf-Begehren. Kilimandscharo. Aconcagua. Muztagh Ata. Elbrus. Cho Oyu. Denali, Gasherbrum. Immer um fünftausend bis achttausend Meter über dem, was einen runterzieht. Und die Berge in ihrem kühlen Glühen sind ihr Ebenbild. Was sie von dort mitbringt, was dann Malerei wird, sind nicht nur Psychogramme dieser Steingebilde in ihrem harten Strahlen von Schönheit, sondern vielleicht vielmehr Auf-Klärung der Leibhaftigkeit Angela Hampels, Parabeln auf gelebtes Leben. Obwohl sie nur ganz selten Landschaft malt - was ihr einmal gelingen möchte, sagt sie - und die Augen funkeln kämpferisch: »das ultimative Bergbild«.