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Am besten schmeckt, was vor der Haustür wächst

Kulinarische Entdeckungsreise entlang der Nordsee - von Schafen, Krabben und saftigen Wiesen

  • Anja Reinbothe
  • Lesedauer: 7 Min.

Um uns herum blökt es in unterschiedlichen Tonlagen. Wir stehen inmitten von über Hundert Schafen im Stall der Familie Volquardsen nahe Tetenbüll an der Nordsee. Große und kleine Tiere, weiße und schwarze reiben sich die schmalen Köpfe an unseren Hosenbeinen. Jedes möchte gestreichelt werden. Aber gerne doch! Das Fell der ausgewachsenen Schafe ist fest, ja fast borstig, das der Lämmchen wunderbar flauschig weich.

»Sie lieben es, gekrault zu werden. Da fangen sie an, mit der Zunge zu schlecken«, erzählt Redlef Volquardsen schmunzelnd. Das macht ihre Milch bestimmt noch schmackhafter. Aus dieser stellt der schlaksige Mann Schäfskäse her, ganz wie einst seine Urgroßmutter. Den elterlichen Rindermastbetrieb hier auf der Halbinsel Eiderstedt wandelten er und seine Frau Monika ab 2003 in einen Bio-Milchschafhof mit Käserei um, nachdem beide in Hessen mit ihrem Studium der ökologischen Landwirtschaft fertig waren, wo sie sich auch kennenlernten. Sie wollte eigentlich immer Ziegen züchten, aber so weit sind Schafe da ja nicht entfernt. Dass sie mit den Tieren zurechtkommt, wusste sie, nicht aber, ob sie als gebürtige Bodenseeerin mit dem platten Land zurechtkommt. Heute kann sie darüber nur lachen.

Mittlerweile bewirtschaftet das Paar nach Bioland-Richtlinien 66 Hektar Dauergrünland, auf dem sich tagsüber 120 Ostfriesische Milchschafe und rund 100 Lämmer an zahlreichen Pflanzenarten satt fressen. Border-Collie-Hund Nop, Friesisch für Floh, hält die Herde auf dem sensiblen Biotop zusammen. Morgens und abends wird sie gemolken, eineinhalb Stunden dauert das. »Durchschnittlich 1,5 Liter Bio-Milch gibt ein Schaf pro Tag, im Jahr etwa 405 Liter«, erzählt Redlef Volquardsen. In Käse gerechnet sind das bis zu sechs Tonnen pro Jahr.

Fünf Sorten entstehen, unter anderem »Friesaki«, eine Art würziger Feta, dann der herzhafte »Rote Friese« und der Hauskäse »Frischer Friese«. Wie das geht, mit pasteurisierter Milch, Milchsäurebakterien und einem Tropfen Lab, zeigen Redlef und Monika in der Küche ihrer stattlichen Backsteinvilla. Im alten Gewölbekeller des Hofes kriegen die Runden ihren einzigartigen Charakter.

Hinter die Kulissen des Heile-Welt-Betriebes dürfen Interessierte bei einer Führung gucken, sagt Redlef: »Viele Tausende Besucher kommen jährlich und nehmen das ein oder andere gute Käsestück mit. Sie sind unsere Hauptkundschaft.« Können wir verstehen. Die Kostproben machen Lust auf mehr.

Kriegen wir. Abends im »Bio-Hotel Miramar« im nahe gelegenen Tönning, wo sich auch das Wattforum-Museum befindet. Auf dem Weg dorthin fahren wir an Außendeichen vorbei. Grüne, steile Wiese vor blauem Himmel, fertig ist das idyllische Landschaftsbild. Wobei - Schafe laufen auch noch darauf rum. Sie sind ein natürlicher Küstenschutz, da sie mit ihren Trippeltritten den Boden festigen. Aber Achtung beim Spazierengehen: Im Gras lauern Häufchen.

Ein Fehltritt aber scheint Glück zu bringen: Wir werden mit einem köstlichen Abendessen im »Bio-Hotel Miramar« belohnt. Der runde Schafskäse von Familie Volquardsen begegnet uns wieder, mit Pumpernickelkruste. Er ist eine Wucht! Genauso wie das Salzwiesenlamm. Jedes Gericht besteht aus rein natürlichen Zutaten. »Wir haben uns Gesundheit auf die Fahne geschrieben«, erklärt Hotelier Uwe Peters. Das fängt beim Essen an und geht bei Yogakursen und im Bio-Beautybereich weiter. Frischlufttanken ist in Tönning natürlich auch immer möglich. Der Ort lädt zum Bummeln und Bootegucken ein.

Im kleinen Hafen hat am nächsten Morgen jemand den Stöpsel gezogen, das Wasser ist weg - Ebbe. Segelboote und Fischkutter liegen auf Grund und Schlick. Wir schlendern zur breiten Eider, die in die Nordsee mündet. Von hier aus könnten wir in den malerischen Hafen von Friedrichskoog im Dithmarschen Land schippern. Das ist vor allem dann interessant, wenn die Fischer zurückkehren.

Das kunterbunte Durcheinander ist genau jenes Nordseebild, das sich Touristen ersehnen, das aber bald ein Ende haben könnte. Die Kieler Landesregierung will sparen und den gezeitenabhängigen Hafen Anfang 2014 dicht machen. Ohnehin bringen die großen Kutter ihren Fang schon lange nach Büsum, wo sie auch bei Ebbe einlaufen können. Und die kleinen müssen gucken, wo sie bleiben. Zum Beispiel die Gebrüder Urthel. Jan ist Fischer in dritter Generation. Alle drei Tage macht er am Friedrichskooger Hafen fest, wo sein Bruder Alfred die Krabbenbeute abholt.

»Moin, moin«, grüßt dieser und führt uns seine Schälmaschinen vor, die einzigen Norddeutschlands. Stolz erzählt der stämmige Mann mit dem Stoppelhaar: »40 Tonnen Krabben verarbeiten wir im Jahr. Wir pulen sie hier vor Ort und lassen das nicht wie andere in Marokko machen, nur weil es günstiger ist.« Die hausgemachte Qualität schmeckt man. Ihre aromatische Note ist so intensiv, als hätte man sie gerade eben gefangen. Ganz anders als die Produkte aus dem Supermarkt. »Man muss nicht immer alles aus dem Ausland kaufen. Auch Deutschland hat schöne Sachen«, findet Alfred Urthel.

Mit bestem Beispiel geht er voran und ist Mitglied von »Feinheimisch«, einem Zusammenschluss von mehr als 200 Produzenten und Restaurants Schleswig-Holsteins, die frische, regionale Lebensmittel herstellen beziehungsweise verarbeiten. In den letzten Jahren hat sich der Norden Deutschlands zum Genussland gemausert, man besinnt sich wieder auf das, was man vor Ort hat, in bester Qualität: Schafskäse, Lammfleisch Rindfleisch, Austern, Muscheln, Krabben oder Kohl.

Urthels gepulte Meerestierchen beispielsweise werden mit Kusshand vom legendären Strandbistro »Wonnemeyer« auf Sylt genommen. Rau stürmt dort die See ans Ufer, getrieben von Windböen, die die Haare zerzausen. Die Sonne blitzt vom Himmel. Ein paar Wolken tummeln sich am Horizont, ziehen parallel über den wilden Wellen. Auf der großen Außenterrasse vor den Dünen haben es sich betuchte Gäste bequem gemacht. Beim ersten Anblick würde keiner vermuten, dass hinter der gelben Bretterbude einer »der« Gourmetadressen Sylts liegt. Heute kocht hier der Zwei-Sterne-Koch Johannes King, setzt Tartar vom Hering auf Stampfkartoffeln. »Wir verwenden in unserem Restaurant keine Fische mehr, die südlicher schwimmen als Hamburg«, sagt er.

Satt und zufrieden reisen wir mit dem Autozug über den Hindenburgdamm zurück aufs Festland nach Niebüll. Quer durch die Marsch. Auf Salzwiesen liegen Robustrinder, viele davon sind Galloways. Mit ihrem dunklen Wuschelfell sehen sie ein bischen wie Ponys aus. Ihr herzhaft intensives Fleisch ist eine Delikatesse. Genauso wie das der Lämmchen, die jetzt ebenfalls immer wieder in Grüppchen vorm Fenster auftauchen und übers Wattenmeer blicken.

Seit 2009 gehört dieses zum UNESCO-Weltnaturerbe. Als wir es vom Zug aus betrachten, sieht alles wie eine große Pfütze aus. Es ist wieder mal Ebbe. Himmel und Restwasser verschmelzen mit᠆einander. Dem Bild haftet etwas Melancholisches an. Dabei ist die Nordsee ein quirliger Lebensraum. Rund 10 000 Tier- und Pflanzenarten sind darin zu Hause. Für Fische ist es eine wichtige Kinderstube. Sie legen hier ihre Larven ab. Und ein grünes Schlaraffenland ist das Wattenmeer allemal. Es ist prallgefüllt mit Queller, einem Meeresgemüse, dass mit seinen fleischigen Stängeln aussieht wie ein stachelloser Mini-Kaktus. Am Abend kosten wir das gesunde Friesenkraut zu Kabeljaufilet und Urthels Nordseekrabben. Ein wenig nach Spargel und Fenchel schmeckt es. Später, als wir in den Hotelbetten den Tag Revue passieren lassen, dauert es nicht lange und wir zählen Schäfchen. Bis 120 schafft es keiner mehr.

  • Infos: Nordsee-Tourismus-Service GmbH, Tel.: (01805) 06 60 77 (€ 0,14/Min. aus dem Festnetz, Mobilfunk max. € 0,42/Min.), E-Mail: info@nordseetourismus.de, www.nordseetourismus.de
  • Natur-Genuss-Festival der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, zwischen Juli und Oktober 2013 bieten 24 regionale Gastronomen Menüs rund um Galloway, Highlandrind und Auerochse an. 30 regionale Produzenten liefern vom Apfel bis zur Zucchini, vom Ascheberger Doppelrahm bis zur Ziegentarte die Zutaten, Veranstaltungskalender: www.sh-geniesserland.de oder zu bestellen unter Tel. (0431) 210 90 90
  • Nationalpark Zentrum Multimar Wattforum, Dithmarscher Str. 6 a, 25832 Tönning, Tel.: (04861) 9620-0, www.multimar-wattforum.de
  • Friesische Schafskäserei, Monika und Redlef Volquarsden, Kirchdeich 8, 25882 Tetenbüll, Tel.: (04862) 348, www.friesische-schafskaeserei.de, Führungen: dienstags und freitags um 15 Uhr, im Juli und August auch donnerstags
  • Fischladen und Restaurant Alfred Urthel, Hafenstraße 71, 25718 Friedrichskoog, Tel.: (04854) 291, www.urthel.de
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