nd-aktuell.de / 08.06.2013 / Kultur / Seite 14

Show ... musste machen

Lucía Tirado

Eine EU-Norm für Musik in der Fußgängerzone - das ist es, was Europa braucht. Familie Hinterbänkler lässt bei einem Casting in Brüssel die Mitgliedsländer antreten und schmeißt einen nach dem anderen raus. Trotzdem wird es Vater Hans (FDP), Sohn Lutz (Pirat mit Hangover-Mandat) und Mutter Elisabeth (CDU), die an ihren Hinterbänkler-Namen noch Neumann anhing, langweilig an ihrem Rückzugsort. Sie warten auf den großen Tag in Deutschland.

Ihren Wahlkampf haben sie von drei in der Politik unerfahrenen und deshalb ungeheuer erfolgreichen Künstlern bis zur »K-Frage« erledigen lassen. Die brachten jenen Schwung ins von Verdrossenheit gepeinigte politische Leben, auf den der Wähler immer gewartet hat. Den Namen der Partei kann man immer noch ändern, sagen sich die Hinterbänkler, die pünktlich vor der Bundestagswahl heimkehren, um alles an sich zu reißen - und die Künstler rauszuschmeißen. Die Prognose ist gut. Wenn Sonntag Wahlen wären ...

Das ist die Geschichte des Polit-Musicals »die drei von der stammzelle - Aufstieg und Fall einer Show-Partei«. Aus einer kleinen Depression in der »Stammzelle« heraus, der Bar der altbekannten Verkannten oder abgebrannten Eleganten und Gründungsort der Formation, hatten sich die Künstler Nini, Franz und Tom die Sache mit der Show-Partei einfallen lassen, um endlich übers Fernsehen bekannt zu werden. Ein bisschen Aufmerksamkeit wollen sie und bekommen sie prompt mit ihrer frischen PDF-Partei.

Alles Hals über Kopf. Der Name war noch nicht ganz fertig als es losging. Und das transportable Dokumentenformat (PDF) wird auch bis zum Ende nicht mit Text gefüllt. Running Gag. Die Künstler kommen nicht dazu, ein Programm für ihre Spontanpartei zu erdenken. Show musste machen. Auf den Inhalt kommt es erst einmal nicht so an.

»Böses Musical« macht die Gruppe »Stammzellformation« aus Prenzlauer Berg, die im BKA-Theater ihre Produktion zur Premiere brachte. Drei Jahre sind sie nun schon dabei, das Genre intelligent anzugehen. Vor allem mit »Mamma Macchiato«, dem Musical, das Prenzlauer Berg verdient, eroberten sie Publikum. Dem Kabarett sehr nah kommt nun das neue Stück, auch wenn es durch den Musical-Charakter längst nicht so bissig wird, wird es die Politik verdiente. Da fehlt es etwas an Mut, der mehr Kraft brächte. Es bleibt beim fröhlichen Spott in drei Doppelrollen. Aber der ist gut erdacht und gemacht.

Offen für Aktuelles sollte das Stück in der Regie von Gustav Rueb dennoch sein. Würde beispielsweise die gemeine Möhre, die man in Brüssel zum Obst erklärt, von der EU dort vielleicht noch zu Konfekt oder ähnlichem erklärt, passte auch das ins Programm.

Schnell ist der Wortwitz mit der Einsicht, dass Künstler im Parlament nicht glücklich würden. Was es über Hinterbänkler und deren Unruhe vor kommenden Wahlen zu erzählen gibt, wurde gut recherchiert. Wie groß ist doch die Angst, aus dem gemütlichen Leben auf den Boden der Realität zu knallen. Der Begriff des Schattendaseins wird einfallsreich zweifach benutzt. Zum einen schläft man sich auf der Hinterbank aus. Zum anderen zieht man von dort aus an den Fäden der Macht.

Professionell bringen Nini Stadlmann, Franz Frickel und Thomas von Hasselt, der Text und Musik schrieb, das alles an, wenn sie musizieren und singen. Beim Tanz ist Stadlmann die Augenweide. Mit wenig Requisiten kommen die Künstler dabei aus, füllen kleine Umziehpausen mit Gesang. Nichts stockt in der vergnüglichen Geschichte, die es anzusehen lohnt.

Die Kostprobe einer weiteren eigenen Produktion gab es im BKA-Theater gleich noch dazu. Mit »Drei - ein Musical für Zwei« gastiert die Gruppe »Stammzellformation« demnächst im Prime Time Theater. Auch das, was da »den Broadway alt aussehen lässt« verspricht Spaß.

»die drei von der stammzelle«: 8., 9.6., 20 Uhr, BKA-Theater, Mehringdamm 34, Kreuzberg, Tel.: 202 20 07; »Drei - ein Musical für Zwei«: 27.6.-6.7., 20.15 Uhr, Prime Time Theater, Müllerstr. 163, Wedding, Tel.: 95 99 91 67