Washingtons Geheimdienst liest weltweit mit

Per Gesetz und Gerichtsurteil werden die USA im Namen der Terrorbekämpfung zum Überwachungsstaat

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Text dieses Artikels gelangte über das Internet aus den USA nach Europa. Man darf getrost davon ausgehen, dass er zuvor auf dem Server des Geheimdienstes NSA gelandet ist.

Die Regierung in Washington lässt seit sieben Jahren die Verbindungsdaten aller Telefonate bei den großen US-amerikanischen Telefonunternehmen sammeln. Seit fast sechs Jahren werden alle Verbindungen über die Netze der großen Internetanbieter von Apple bis Google und Facebook kontrolliert – weltweit.

Das alles geschieht auf der Rechtsgrundlage der Terrorabwehr. Die Aktionen im Rahmen von Artikel 215 des Staatsschutzgesetzes »Patriot Act« sind mehrfach im Kongress von allen Parteien gebilligt worden. Doch in den Medien wie von Bürgerrechtlern werden diese staatlichen Schnüffeleien heftig kritisiert.
Die schockierenden Enthüllungen der letzten Tage sind jetzt von Geheimdienstdirektor James Clapper bestätigt worden.

»Big Brother« Obama: Olaf Standke über die Schnüffelei des US-Geheimdienstes NSA

In der Scheidung und im Krieg ist alles erlaubt; auch so ein Anwaltsspruch. Von Trennungsabsichten bei den Obamas hört man nichts, aber tiefer denn je steckt der USA-Präsident im »Krieg gegen den Terror« – und scheint keine Grenzen zu kennen. Der Zweck heiligt offensichtlich alle Mittel.

Der auf Verfassungsrecht spezialisierte Jurist lässt unter Umgehung des Völkerrechts selbst eigene Staatsbürger fern der Heimat durch Kampfdrohnen exekutieren, Terrorverdächtige im rechtlichen Niemandsland Guantanamo weiter ohne Prozess und Urteil dahinvegetieren. Und nun kommt scheibchenweise ans Tageslicht, dass die Geheimdienste der Supermacht den Telefon- und Datenverkehr in einer Dimension ausspähen, die »Big Brother« zum Waisenknaben stempelt.

Abermillionen USA-Bürger wie Menschen in anderen Staaten sind betroffen, wenn etwa der Militärnachrichtendienst NSA flächendeckend Zugriff auf Unmengen Gespräche, E-Mails, Fotos, Videos und sonstige gespeicherte Daten führender US-amerikanischer Telefon- und Internetunternehmen hat. Und das gesetzlich abgesegnet.

Da werden sogar Verschwörungstheoretiker blass und Datenschützer wie Bürgerrechtler gehen auf die Barrikaden. Ausgerechnet unter dem Präsidenten des vorgeblichen Wandels, der die verheerenden Verwerfungen der Bush-Ära korrigieren wollte und Transparenz, Offenheit und Augenmaß predigte, mutieren die Vereinigten Staaten im Namen der nationalen Sicherheit vollends zum Überwachungsstaat.

Sowohl der britische »Guardian« als auch die »Washington Post« hatten über die Überwachungspraktiken berichtet. In der schriftlichen Erklärung des ehemaligen Generals heißt es, dass die mit diesem »wichtigen und vollkommen legalen Programm« gesammelten Daten zu den wichtigsten und wertvollsten »Aufklärungsinformationen« gehörten. »Sie werden genutzt, um unsere Nation vor einem Fächer von Bedrohungen zu schützen.« Deshalb sei die nicht autorisierte Enthüllung verwerflich und gefährde die Sicherheit der Amerikaner, so Clapper.

Zunächst berichtete der »Guardian«, dass der Geheimdienst NSA (National Security Agency) vom Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), dem geheimsten Sondergericht in den USA, die Genehmigung erhalten habe, Telefonverbindungsdaten der Gesellschaft Verizon abzugreifen. Am Donnerstag wurde bekannt, dass nicht nur Verizon betroffen ist, sondern auch andere große Anbieter von AT&T über Sprint bis T-Mobile. Es folgten schließlich Berichte, dass die gesamte Kommunikation über das Internet bei Microsoft, Apple, Paltalk, Skype, Yahoo, YouTube oder Facebook kontrolliert wird – in Echtzeit. Und hier geht es auch um Inhalte und nicht nur um Verbindungsdaten.

Anthony Romero, Direktor der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union, zeigte sich empört. Der Kongress habe dieses Vorgehen durch Gesetze ermöglicht, das Gericht sei »ein Papiertiger und Erfüllungsgehilfe« und die Regierung Obama »verrät ihre Werte«. Zu der öffentlichen Kritik trugen Bemerkungen aus dem Kongress wie die von Senats-mehrheitsführer Harry Reid bei, »alle sollten sich beruhigen und nicht so tun, als sei das etwas Neues«.

Tatsächlich begannen die flächendeckenden Überwachungen schon 2006 unter Präsident George W. Bush und wurden später im Kongress per Gesetz abgesegnet. Damals wurde auch das Programm PRISM zur Internetkontrolle gestartet. Doch hat Barack Obama die Bespitzelung massiv ausgeweitet, auch Firmendaten werden umfangreich kontrolliert. Internet-Riesen wie Facebook oder Apple bestreiten allerdings, dass sie der NSA Zugang zu ihren Computern gewähren. Laut »Washington Post« könnten sich die Sicherheitsbehörden aber unbemerkt von den Firmen direkt in die Computer-Netzwerke einklinken.

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