Schöner Schein der Basisdemokratie

Die Mitglieder der Grünen stimmen darüber ab, welche Projekte im Wahlprogramm am wichtigsten sind

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Grünen haben ihre Mitglieder befragt, welche Projekte bei einer Regierungsbeteiligung als Erstes angepackt werden sollen. Die Spitzenpolitiker der Partei sind aber nicht an das Abstimmungsergebnis gebunden.

In Zeiten des Wahlkampfs geht es nicht nur darum, Wähler zu mobilisieren, sondern auch die eigene Parteibasis. Hierfür haben SPD und Grüne ähnliche Reklamesprüche entwickelt. Die Sozialdemokraten haben ihr Wahlprogramm mit dem Leiharbeitsfirma-Slogan »das Wir entscheidet« betitelt, bei den Grünen »bist Du entscheidend«.

Während man sich bei der SPD fragt, wer »Wir« eigentlich sein soll, durften die Mitglieder der Ökopartei immerhin per Spitzenkandidatenurwahl bestimmen, wessen Gesicht am häufigsten auf den Wahlplakaten zu sehen sein wird. Nun stimmen sie auch darüber ab, welche Projekte aus dem grünen Wahlprogramm in den kommenden Wochen von der Parteiführung besonders betont und bei einer Regierungsbeteiligung als Erstes angepackt werden sollen. Aus insgesamt 58 Projekten werden neun Projekte ausgewählt.

Allerdings sind die Grünen-Politiker nicht an das Abstimmungsergebnis gebunden, das voraussichtlich am Mittwoch präsentiert wird. Die Aktion dient einzig dem Zweck, sich als Mitmachpartei zu inszenieren. Am Wochenende hatten mehr als 250 Kreisverbände öffentlichkeitswirksam Veranstaltungen zu der Abstimmung organisiert. Auch in Berlin durften noch einmal Argumente vorgetragen werden.

Wer bei der vorangegangenen Internetdiskussion zum Wahlprogramm von den Nutzern den meisten Zuspruch für seine Argumentation erhielt, wurde als Redner zur zentralen Veranstaltung in die Bundeshauptstadt eingeladen. Allerdings war die Beteiligung im Netz eher mau. Die meisten Stimmen (85) erhielt die These »Tierschutz ist Menschenschutz« der bayerischen Basis-Grünen Marie-Luise Thierauf. Da die Partei insgesamt etwa 60 000 Mitglieder hat, ist zweifelhaft, ob Debatte und Abstimmung im Internet wirklich den Willen der Mehrheit der Parteibasis repräsentieren.

Neben einigen weniger bekannten Grünen ist unter den sechs Gewinnern der Onlinedebatte auch der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler, der sich für die Einführung einer Vermögensabgabe einsetzt, um die Staatsschulden abzubauen. Die meisten anderen prominenten Parteimitglieder verzichteten hingegen darauf, im Internet mitzudiskutieren. Sollten die Grünen tatsächlich nach der Bundestagswahl im Herbst Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung haben, werden die Grünen-Spitzenpolitiker in den Koalitionsverhandlungen mit Sozial- oder Christdemokraten aushandeln, welchen Kurs die künftige Bundesregierung einschlagen wird. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung wird darauf keinen entscheidenden Einfluss mehr haben.

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