Gedenken an NS-Verfolgte

Initiative veranstaltet Tag in Rummelsburg für als »arbeitsscheu« Stigmatisierte

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Wuchtig erheben sich die backsteinroten Gebäude auf dem Areal rund um die Friedrich-Jacobs-Promenade an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. Weithin sichtbar überragt ein in der Mitte des Geländes stehender frisch sanierter Turm mit Flachdach die ihn umgebenden Häuser. Die kasernenähnliche Anordnung lässt seine einstige Funktion als Wachtturm für einen sich anschließenden Komplex von Arbeitshäusern auch heute noch erahnen.

Rund 100 Menschen kamen am vergangenen Sonnabend vor den ehemaligen Verwaltungsgebäuden der im Juli 1934 von den Nationalsozialisten an diesem Ort eingerichteten »Städtischen Arbeits- und Bewahrungshäuser Rummelsburg« zusammen. Unter ihnen viele Anwohner aus den umliegenden Kiezen. Auch Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, sowie zwei Zeitzeuginnen waren unter den Gästen.

Zu der Gedenkveranstaltung aufgerufen hatte der Arbeitskreis »Marginalisierte - gestern und heute«. Anlass war der 75. Jahrestag der »Aktion Arbeitsscheu Reich« von 1938. »Das Areal der ehemaligen Arbeits- und Bewahrungshäuser in Rummelsburg ist das historisch größte, noch komplett erhaltene Zeugnis eines sozialchauvinistischen und rassistischen Überlegenheitsdenkens, dass Menschen disziplinieren, zwangserziehen, aussondern und wegsperren sollte«, erklärt Dirk Stegemann vom Arbeitskreis. Seit einigen Jahren widmet sich die Initiative der Geschichte der bereits 1879 als Arbeits- und Arresthäuser errichteten Gebäude an der Rummelsburger Bucht. Einen Forschungsschwerpunkt legt der Arbeitskreis dabei auf die Zeit des Nationalsozialismus: Rund 2000 Menschen waren zu Hochzeiten in dem Rummelsburger Arbeitshaus interniert. Zu den Häftlingen zählten neben Obdachlosen und sogenannten Landstreichern auch Sinti und Roma sowie Frauen, denen sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Sie alle mussten Zwangsarbeit in den angegliederten Werkbetrieben oder in sogenannten Arbeitskommandos außerhalb der Arbeitshäuser verrichten. Nicht wenige vielen ab 1940 den »Euthanasie«-Morden zum Opfer.

In verschiedenen Redebeiträgen wurde am Sonnabend auch die Forderung nach einem würdigen Gedenken an diese NS-Opfergruppe erhoben. So ist es maßgeblich dem Engagement des Arbeitskreises zu verdanken, dass im letzten Jahr zwei Gedenktafeln angebracht werden konnten. Im diesjährigen Themenjahr »Zerstörte Vielfalt - Berlin 1933-1938-1945« erinnern zudem drei Themensäulen an die Geschichte der Arbeitshäuser.

Die vom Arbeitskreis ebenfalls geforderte Bildungsstätte, die auch heutige Formen sozialer und rassistischer Ausgrenzung thematisieren soll, steht allerdings noch aus. Angesichts der fortschreitenden Sanierung der ehemaligen Arbeitshäuser in Miet- und Eigentumswohnungen gestalte sich dies zunehmend schwieriger, wie Dirk Stegemann betont. »Die Etablierung einer Lern- und Bildungseinrichtung setzt die Anerkennung der Verbrechen der Nazis an den als »asozial« kriminalisierten Menschen als NS-spezifisches Unrecht sowie die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen voraus«, sagt der Gedenkaktivist.

Mit der von April bis Juni 1938 andauernden »Aktion Arbeitsscheu Reich« erreichte die nationalsozialistische Ausgrenzung und Verfolgung von als »arbeitsscheu« stigmatisierten Menschen ihren Höhepunkt. Gemäß der NS-Ideologie wurde in fürsorgeberechtigte »Arbeitswillige« und »asoziale Arbeitsunwillige« unterschieden. Letztere sollten aus der Gemeinschaft ausgesondert und durch schwere körperliche Arbeit »umerzogen« werden.

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