Schutzlotterie

Karl Kopp über erschütternde Aspekte der europäischen Flüchtlingspolitik

  • Lesedauer: 3 Min.

Drei erschütternde Aspekte charakterisieren die europäische Flüchtlingspolitik: der tägliche Tod, die Inhaftierung von Schutzsuchenden und die Verweigerung von Verantwortung für den Flüchtlingsschutz. Etwa 20 000 Flüchtlinge und Migranten starben an den EU-Außengrenzen seit 1993. Haftanstalten und Elendslager für neu ankommende Schutzsuchende schießen wie Pilze aus dem Boden.

Flüchtlingsinitiativen verwenden mittlerweile einen Großteil ihrer Energie darauf, Asylsuchende davor zu bewahren, in menschenrechtswidrige Lebensumstände in anderen EU-Staaten abgeschoben zu werden – 3000 Asylsuchende wurden allein im letzten Jahr aus Deutschland überstellt. Das sogenannte Asylpaket, das das Europäische Parlament am 12. Juni beschlossen hat, wird an diesen Menschenrechtsskandalen kaum etwas verändern.

Die angenommenen Richtlinien zur sozialen Aufnahme, zu Asylverfahren und die Verordnungen zur Asylzuständigkeit werden die »europäische Schutzlotterie« nicht beenden. Der Flickenteppich im Asylrecht wird fortbestehen. Das inhumane und unsolidarische Asylzuständigkeitssystem Dublin bleibt in seinen Grundstrukturen erhalten und wird die flüchtlingspolitische Systemkrise in Europa weiter verschärfen. Die Inhaftierung von Asylsuchenden droht zur Regel in der EU zu werden.

Knapp 14 Jahre nach dem Startschuss zu einem gemeinsamen europäischen Asylrecht ist auch nach der zweiten Etappe kein »Europa des Asyls«, so der EU-Anspruch, oder gar ein »gemeinsamer Schutzraum für Flüchtlinge« geschaffen worden. Dem Paket, das fälschlich das Label »Asyl« trägt, hat das Parlament nach quälend langen Verhandlungen, mannigfaltigen Verwässerungen und Verschärfungen durch EU-Mitgliedstaaten, an vorderster Stelle wieder Deutschland, zugestimmt – nach dem Motto »Augen zu und durch«, Einigung um jeden menschenrechtlichen Preis.

Die sogenannte Aufnahmerichtlinie sollte die sozialen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende regeln. Im Zuge der Verhandlungen wurde daraus eine Inhaftierungsrichtlinie für Schutzsuchende. Bei den Verhandlungen wollte kein Staat auf seine Haftgründe verzichten. So kam es dazu, dass die Richtlinie nun sechs Haftgründe enthält, die es erlauben, Asylsuchende europaweit zu inhaftieren. Selbst die alte Position des Europäischen Parlaments, zumindest die Inhaftierung von unbegleiteten Flüchtlingskindern zu verbieten, wurde im Zuge der Verhandlungen aufgegeben.

Die Zustimmung des Parlaments zu diesem Inhaftierungsprogramm stellt ein menschenrechtliches Armutszeugnis dar. Die höheren Verfahrensgarantien, die das Europäische Parlament für inhaftierte Asylsuchende erstritten hat, verschieben die Auseinandersetzung auf die Gerichtsebene. Gemeinsam mit den Betroffenen muss in einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung dieses exzessive europäische Inhaftierungsprogramm bekämpft werden.

Deutschland hat sich für zwei dieser Inhaftierungsgründe vehement eingesetzt: bei Verfahren der Asylzuständigkeit (Dublin-Verordnung) und bei verspäteter Asylantragsstellung. Dreist behauptet das Bundesinnenministerium in einer Pressemitteilung vom 7. Juni 2013: »In Deutschland werden Asylbewerber grundsätzlich nicht in Haft genommen.« Fakt ist, dass bundesweit über 50 Prozent aller Abschiebungshaftfälle Asylsuchende – sogenannte Dublinfälle – sind.

Nach der Annahme des »Asylpakets«, ist die politische und moralische Aufgabe weiterhin: Europa muss endlich asylfähig werden – mehr Solidarität und Menschlichkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen und ein gemeinsames Asylrecht, das den gefahrenfreien Zugang zum EU-Territorium gewährt.

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