BND am Knotenpunkt

Auch deutscher Geheimdienst überwacht systematisch Telekommunikation

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND scannt bereits jetzt zig Millionen Mails, SMS und Telefonate. Nun baut er die Überwachung für 100 Millionen Euro aus. Obwohl die ersten Gelder bereits flossen, bleibt das Parlament bisher außen vor.

Offenbar seit Jahren betreibt der Bundesnachrichtendienst (BND) das, was unter Spitzel-Profis »Strategische Fernmeldeaufklärung« heißt: die zwar teils dem Zufallsprinzip unterliegende, gleichwohl systematische Überwachung von Telekommunikationsvorgängen im großen Maßstab. Nun will der BND sein Überwachungsprogramm ausbauen und veranschlagt dafür insgesamt 100 Millionen Euro binnen fünf Jahren. Fünf Millionen seien bereits von der Bundesregierung frei gegeben worden, berichtet der »Spiegel«. Dem Nachrichtenmagazin werden beste Kontakte zum Nachrichtendienst nachgesagt.

Jan Korte, obwohl Mitglied des Bundestages und dessen Innenausschusses, erfuhr davon erst aus den Nachrichten und monierte ein »Kasperltheater«. Im Ausschuss seien die 100 Millionen nie Thema gewesen. »Tatsächliche Kontrolle von Regierungshandeln wird so unmöglich gemacht.« Wofür genau die 100 Millionen Euro investiert würden - darüber kann auch der LINKE-Politiker nur spekulieren. »Sie werden wohl für die Erneuerung von Hard- und Software und 100 neue Stellen in diesem Bereich eingesetzt, und damit für die Ausweitung und Systematisierung der weltweiten Kommunikationsüberwachung.« Die gesetzlichen Bestimmungen seien »hier eher Problem als Lösung, weil sie diese ausufernde Überwachung im Kern schon längst geregelt haben«.

Regierungssprecher Georg Streiter bemühte sich gestern um Schadensbegrenzung: Das 100-Millionen-Euro-Programm befinde sich im »noch im Reich der Überlegungen«. Bislang sei lediglich geplant, fünf Millionen Euro innerhalb des BND-Haushalts umzuschichten. Streiter stellte vor Journalisten klar: »Was der BND vorbereitet, werde ich Ihnen mit Sicherheit nicht sagen.«

Der BND, Deutschlands Auslandsgeheimdienst mit braunen Wurzeln in der Nazi-Spionage-Truppe »Fremde Heere Ost«, verfügt bereits länger über eigene Technik, um Millionen Bewegungen im Internet oder um Telefonate und SMS zu kontrollieren.

Die Technik soll sowohl beim BND daheim im bayrischen Pullach stehen als auch bei privaten Anbietern von Internetdienstleistungen. Wie beim unlängst in die weltweiten Schlagzeilen geratenen US-Geheimdienst NSA und dessen »PRISM«-Programm arbeiten staatliche und privatwirtschaftliche Akteure also Hand in Hand. Im Visier des BND sind Internetknotenpunkte, laut »Spiegel« insbesondere ein Rechenzentrum in Frankfurt am Main, das dem Verband der Deutschen Internetwirtschaft gehört. Dieses »größte Drehkreuz Europas« (»Spiegel«) verteile Daten aus für den BND relevanten Regionen wie Osteuropa, afrikanischen Krisengebieten und dem Nahen Osten.

Glaubt man den Daten des »Spiegel«, so sank die Zahl der ins Blickfeld geratenen E-Mails zwischen 2010 und 2012 um 97,5 Prozent - statt 37 Millionen wurden dem-gemäß nur noch 900 000 E-Mails durchsucht. Aber Technikaffine, auch technikaffine Terroristen kennen eine Menge Wege, um Überwachern nicht ins Netz zu gehen. Eine davon ist die kryptographische Verschlüsselung von E-Mails beispielsweise mit Hilfe des Programms »Pretty good Privacy«, die als unknackbar gilt. Wenn E-Mails gar nicht erst verschickt, sondern lediglich im Postausgang eines E-Mail-Kontos abgelegt und nur dort von Mittätern angeschaut werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit gen Null, dass Behörden überhaupt von der Kommunikation Wind bekommen. Die etwas klügeren Terrorfürsten und Terrorplebejer dürften sich den deutschen Schnüfflern aus der oberbayrischen Provinz also zu entziehen wissen.

Längst ist die Terrorabwehr zu einem »überwältigenden Killerargument« geworden, betonte gestern Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix. »Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu vermuten, dass Daten, die zur Terrorabwehr gesammelt werden, auch in ganz anderen Bereichen genutzt werden.« Was den BND betrifft, so dürfen nur Mails, Telefonate, Chats und SMS-Texte überwacht werden, die Auslandsbezug haben. Deutsche Telefon- und Internetleitungen oder Mail-adressen, die auf ».de« enden, sind für den Auslandsgeheimdienst tabu. Demgemäß dürfte die E-Mail-Adresse »boeser-taliban@yahoo.de« selbst dann nicht vom BND überwacht werden, wenn sie von Afghanistan aus eingerichtet wurde und genutzt wird.

Doch hält der BND das Tabu ein? Oder wird die Telekommunikation auch systematisch nach Begriffen wie »Antifa«, »Castor« oder »Kommunismus« durchforstet? Wirklich überwachen kann die Überwacher niemand. Und außerdem gibt es ja noch den Inlandsgeheimdienst - den Verfassungsschutz mit seinen Bundes- und 16 Landesbehörden. 2008 wurde erstmals öffentlich, dass der Verfassungsschutz eine »gezielte strategische Überwachung von relevanten Internet-Knotenpunkten« anstrebt. Die sei notwendig, um »eine frühzeitige Erkennung von potenziellen Attentätern« zu ermöglichen, hieß es seinerzeit in einem Behördenpapier. Der Verfassungsschutz wollte also ran an die Knotenpunkte. Ist er auch? Der Leitungsstab Presse des zuständigen Bundesinnenministeriums wiegelte die entsprechende »nd«-Nachfrage gestern reichlich unsubtil ab.

Fakt aber ist: Die Technik existiert. Sie steht bei den Internetfirmen. Sie funktioniert. Und unser Auslandsgeheimdienst nutzt sie auch. Zumindest aus technischer Sicht spricht nichts dagegen, dass unser Inlandsgeheimdienst es ihm gleich tut.

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