Werbung

Bücher dürfen bleiben

Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek in Prenzlauer Berg kämpft für ihren Bücherbestand - mit Erfolg

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Bibliothek, die Bücher vernichtet? Das ist kein schlechter Witz, sondern ganz normal: Einmal im Jahr werden an den öffentlichen Bibliotheken Berlins zehn bis 15 Prozent der Bücher aussortiert, nämlich die beschädigten sowie jene, die seit vier oder mehr Jahren nicht mehr ausgeliehen wurden. Diese Vorgabe macht der Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlins (VÖBB). So soll der Bestand aktuell gehalten und Platz gemacht werden für neue, aktuellere Bücher. Was aber, wenn für die gar kein Geld da ist? Das ist der Fall an der Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Bötzowviertel. Die Bibliothek wird seit 2008 in einer besonderen Konstruktion ehrenamtlich von einer Kiezinitiative betrieben wird, nachdem der Bezirk Pankow sie 2007 aus Geldmangel schließen musste. Sie ist aber weiterhin Mitglied im VÖBB und muss also auch dessen Vorgaben erfüllen - der Etat für die Anschaffung neuer Medien beträgt allerdings gerade mal 500 Euro im Jahr.

»Das reicht für die Anschaffung von gerade mal 400 neuen Medien«, sagt die Bibliothekskoordinatorin Barbara Wittwer, auch sie eine ehrenamtliche Mitarbeiterin. »Demgegenüber stehen etwa 3600, die wir laut VÖBB jährlich aussortieren sollen.« In diesem Jahr sollten es sogar 6000 sein, weil die Bibliothek die Vorgaben in den letzten Jahren nicht erfüllt hatte. Für den heutigen Mittwoch war das große Aussortieren angesetzt, vier Mitarbeiterinnen anderer Bibliotheken sollten dabei helfen.

Doch die Kurt-Tucholsky-Bibliothek hielt nicht still: In einer Eilaktion »Ausleihen statt Aussondern« rief sie Nutzer und Leser auf, möglichst viele Bücher auszuleihen und somit vor der Vernichtung zu schützen. Die Resonanz, sagt Wittwer, war überwältigend: »Es wurden nicht nur sehr viele Bücher ausgeliehen, sondern es gab auch viele Neuanmeldungen und Solidaritätsbekundungen«, sagt sie. »Unsere Nutzer wollen, dass auch Klassiker und Grundlagenwerke in ihrer Bibliothek vorhanden sind«, so Wittwer weiter. Am Montagnachmittag kam dann ein erlösendes Fax vom Pankower Kulturstadtrat Torsten Kühne (CDU): Der Aussonderungstermin werde vorerst nicht stattfinden, nach der Sommerpause wolle man sich zusammensetzen, um eine Lösung für das Problem zu finden.

»Aufgrund der Proteste schien mir dieser Schritt notwendig«, so Kühne gegenüber »nd«. Er wolle sich nun beim VÖBB erkundigen, ob der Bibliothek nicht doch etwas Spielraum eingeräumt werden könne. Denn im Verbund will die Bibliothek unbedingt verbleiben.

Ganz einfach sei seine Aufgabe nicht, so Kühne: »Es gibt ohnehin schon Kritik daran, dass hier eine ehrenamtlich betriebene Bibliothek Mitglied im VÖBB ist.« Gerade angesichts der in vielen Bezirken drohenden Bibliotheksschließungen sei es außerdem wichtig, den ehrenamtlichen Betrieb nicht als die Lösung aller Probleme darzustellen. »Sonst macht das am Ende jeder Bezirk so.«

Grundsätzlich, so Kühne, sei die Aussortierung älterer und wenig genutzter Werke außerdem sinnvoll. Angesichts der wachsenden digitalen Verfügbarkeit von Medien sei es heutzutage nicht mehr die erste Aufgabe einer Bibliothek, möglichst viele Bücher zu haben, sondern eher, für eine angenehme Lese- und Lernatmosphäre zu sorgen. »Statt riesiger Bestände geht es jetzt mehr um die Aufenthaltsqualität, und dadurch ist weniger oft mehr«, sagt Kühne.

Für die Tucholsky-Bibliothek ist es aber dennoch eine gute Nachricht, dass sich ihr Bestand vorerst nicht verringern wird. »Wir freuen uns sehr darüber, eine so engagierte Leserschaft zu haben«, sagt Barbara Wittwer. Ganz aufatmen könne man zwar noch nicht, schließlich ist die weitere Entwicklung unklar. Aber dass der Kiez hinter seiner Bibliothek steht, dürfte jetzt jedenfalls jedem klar sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal