nd-aktuell.de / 26.06.2013 / Politik / Seite 15

»Ich plädiere auf Strafbefreiung«

Kataloniens »Robin Bank« Enric Duran lebt seit Februar im Untergrund

Der 37-jährige katalanische Kapitalismuskritiker Enric Duran ist seit seinem ungewöhnlichen Bankraub auch über das krisengeplagte Spanien hinaus bekannt. Bereits 2005 – lange vor der Finanzkrise – erleichterte Duran 39 Banken und Kaufhäuser um insgesamt 492 000 Euro, was ihm den Beinamen »Robin Hood der Banken« einbrachte. Geholfen haben ihm dabei fingierte Unterlagen, darunter eine gefälschte Einkommensbescheinigung. Das Geld floss in finanzschwache linke Projekte und antikapitalistische Gratispublikationen, in denen neben Systemkritik auch Selbstverwaltungsinitiativen vorgestellt wurden. Eine davon ist die Cooperativa Integral Catalana (CIC), die Duran seit dem Frühjahr 2010 mit seinen Mitstreitern aufbaut. Dort werden unter anderem die Geldbeziehungen Schritt für Schritt durch freiwillige soziale Vereinbarungen ersetzt. Mit Duran sprach für »nd« Martin Ling.

nd: Herr Duran, anstatt sich Ihrem Verfahren zu stellen, leben Sie seit Februar im Untergrund. Am 13. März hat die Staatsanwaltschaft Barcelona Sie zur Fahndung ausgeschrieben und einen Haftbefehl erlassen. Gibt es einen extremen Fahndungsdruck, wie man das in den Fällen von »Terroristen« kennt?
Duran: Derzeit ist es definitiv wahrscheinlicher, zufällig, also beispielsweise bei einer Verkehrskontrolle, aufzufliegen. Die einzige konkrete Aktion in den vergangenen vier Monaten war der Besuch meiner offiziellen Wohnadresse, weil es eine richterliche Anordnung gab. Allerdings wurde nur gefragt, ob ich noch da wohne und ob ich telefonisch erreichbar bin.

Welche Gründe haben Sie dazu bewegt, sich dem Verfahren nicht zu stellen?
Nur ganz in Kürze: Es gibt konkrete Motive, wie die Verletzung meiner fundamentalen Rechte als Angeklagter, sei es die Ablehnung sämtlicher Zeugen der Verteidigung, sei es die Verweigerung der Abberufung meines vorherigen Anwaltes. Ihn hatte ich von seinen Diensten entbunden, weil er mich nicht über den Beginn des Verfahrens informiert hatte. Das Gericht hat trotzdem die Aufschiebung des Verfahrens verweigert. Darüber hinaus gibt es ein grundlegendes Motiv: Ich bin nicht der Meinung, dass dieses Justizsystem legitimiert ist, gegen mich als Richter aufzutreten. Ich werde von Finanzinstitutionen beschuldigt, und faktisch hängt das Justizsystem von eben dieser Macht des Kapitals ab, die mich anklagt.

Die Staatsanwaltschaft verlangt acht Jahre Gefängnis für den Betrug an Finanzinstitutionen. Das erscheint als ein sehr hohes Strafmaß angesichts der Tatsache, dass jeder weiß, dass es sich bei Ihrem Bankenraub um eine symbolische Aktion handelte, ohne dass Sie sich persönlich bereichert haben. Was denken Sie darüber?
Diese Forderung ist praktisch das Maximale, was sich gesetzlich überhaupt bei einem solchen Delikt begründen lässt. Es wurden alle strafverschärfenden Aspekte berücksichtigt und alle strafmildernden unter den Tisch fallen gelassen. Deswegen ist es in der Tat ein hohes Strafmaß.
In jedem Fall, was auch immer die Staatsanwaltschaft fordert, werde ich ausschließlich auf Strafbefreiung plädieren. Laut Strafrecht ist Strafbefreiung im Ausnahmefall möglich, wenn dadurch ein größeres gesellschaftliches Wohl geschaffen wird als durch die Haft.

Weil Sie als extrem aktiver sozialer Aktivist der Gesellschaft mehr nützen als wenn Sie im Gefängnis sitzen. Welche Aktivitäten sind Ihnen im Untergrund möglich? Können Sie ihre politische Arbeit fortsetzen und wenn ja: wie?
Ja, ich kann meine politische Arbeit fortsetzen und dank mehr verfügbarer Zeit am Computer auch in mancherlei Hinsicht besser als zuvor. Ich kann Aufgaben und neue Ziele übernehmen, die ich vorher wegen anderer Aktivitäten nicht übernehmen konnte. Zwar kann ich nicht physisch an Versammlungen teilnehmen, aber ich bin Tag für Tag in die Aktivitäten der Katalanischen Integralen Kooperative CIC über das Internet eingebunden. Dabei lerne ich zudem Sachen in Bereichen, die sehr wichtig für die soziale Transformation sein können, an der wir arbeiten. Zum Beispiel im Bereich der virtuellen Währung Bitcoin, die von Banken unabhängig ist, oder über das Feld der restaurativen Justiz als Alternative zum herrschenden Justizsystem.

Wie sehen Sie ihre Zukunft? Weiterhin im Untergrund oder können Sie sich ein faires Verfahren in Ihrer Sache vorstellen?
Ich denke, dass ich noch eine Zeit im Untergrund verbringen werde, vielleicht so ein Jahr. Während dieser Zeit werden meine Mitstreiter und ich das Projekt der restaurativen Justiz weiter vorantreiben und vorbereiten. Die restaurative Justiz ist ein alternativer Ansatz zum derzeitigen Justizsystem, das bereits in verschiedenen Ländern ziemlich an Einfluss gewonnen hat. Es besteht darin, den Mechanismus gerichtlicher Strafverfahren durch einen partizipativen Dialogprozess zu ersetzen, in dem alle am Konflikt Beteiligten an einer gemeinsamen Lösung zur Schadenswiedergutmachung arbeiten.
Unser Projekt wird es uns erlauben, vor der Gesellschaft ein Projekt der Wiedergutmachung zu präsentieren, das alle Akteure zusammenbringt, die in meine Aktion, den Bankenraub, involviert waren. Das geschieht unter dem Blickwinkel des zivilen Ungehorsams gegenüber dem derzeitigen System, den ich verteidige. Tatsächlich ist diese Praxis darauf ausgerichtet, die restaurative Justiz in die Zivilgesellschaft, den Staat und die Privatunternehmen zu tragen und auszudehnen. Wir sind guten Mutes.