Wenn 178 Bürger verschwinden

Schwerin ist Schwerin? Eine brandenburgische Kommune klagt gegen das Landesstatistikamt

  • Peter Jähnel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Jahrelang verschwanden Einwohner der südbrandenburgischen Gemeinde Schwerin auf mysteriöse Weise aus einer Landesstatistik. Grund war ein falscher Behörden-Mausklick wegen einer Verwechslung mit dem mecklenburgischen Schwerin. Der Fall kommt nun vor Gericht.

Cottbus. Lange standen die Dorfvertreter vor einem Rätsel: Obwohl das Örtchen Schwerin am Teupitzer See in Brandenburg tatsächlich 780 Bewohner hat, waren es in der Landesstatistik eines Tages nur noch 602. Kontinuierlich war dort die Zahl wie von Geisterhand gesunken - um ein Fünftel. Für den südöstlich von Berlin gelegenen Ort war das ein Ärgernis: Denn angesichts der Landesstatistik gab es immer weniger Geld vom Land; jährlich etwa 130 000 Euro.

Hintergrund ist offensichtlich eine Verwechslung: Wegzüge aus der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin wurden irrtümlich dem märkischen Schwerin abgezogen - per Mausklick. Nun kämpft die kleine Gemeinde um ihr Recht. An diesem Donnerstag soll ihre Klage gegen das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg vor dem Verwaltungsgericht Cottbus verhandelt werden. Dabei wollen die Richter klären, ob die Zählmethode des Landesamtes richtig ist. Wann sie ihr Urteil sprechen, ist nach Angaben eines Sprechers noch unklar.

Wahlhelfer gesucht

Potsdam (dpa/nd). Wenn sich im Land Brandenburg nicht genügend freiwillige Helfer für die Bundestagswahl melden, können einige Bürger zwangsverpflichtet werden. »Gebraucht werden insgesamt bis zu 28 000 Wahlhelfer«, sagte Bettina Cain von der Landeswahlleitung in Potsdam. Schaffen es die Kommunen nicht, so viele Ehrenamtliche in die Wahllokale zu locken, könnten im Notfall Wahlberechtigte mit dem Amt beauftragt werden. Das sei »staatsbürgerschaftliche Pflicht«. Zum Beispiel könne jemand direkt angesprochen werden, der gerade aus der Wahlkabine komme, wenn ein Wahlhelfer ausgefallen sei, sagte Cain.

In Mecklenburg-Vorpommern ist das Problem wohl bekannt. »Nach Auswertung des Zensus von 2011 vermuten wir, dass etwa 150 aus der Landeshauptstadt Schwerin weggezogene Einwohner nicht bei uns abgemeldet wurden, sondern in Schwerin im Kreis Dahme-Spreewald«, erläutert Michaela Christen, Sprecherin der Landeshauptstadt Schwerin. Falls das zutrifft, blieben immer noch fast 30 Klein-Schweriner auf dem Papier rein statistisch vermisst.

Die Großstadt im Nordosten kennt das Problem von »verschwundenen Einwohnern« selbst gut - ebenso wie viele andere deutsche Orte: Der Zensus brachte nämlich auch ans Tageslicht, dass im mecklenburgischen Schwerin zum Mai 2011 mit 91 293 Einwohnern rund 4000 weniger wohnten, als bei der letzten Volkszählung in den 1980er Jahren ermittelt wurde. Allerdings liegt der Fall hier entgegengesetzt: In Wahrheit ist die Einwohnerzahl kleiner - nicht größer, wie im Dorf Schwerin.

»Wir haben bereits 2005 gemerkt, dass die offiziell registrierte Einwohnerzahl nicht mit unseren Berechnungen übereinstimmt«, erinnert sich Bürgermeister Heinz Gode (parteilos). Für das Jahr 2007 meldete das Landesstatistikamt genau 602 Einwohner an das Finanzministerium nach Potsdam. »Doch damals lebten in der Gemeinde Schwerin rund 780 Menschen, so steht es in unserem Melderegister«, beschreibt Gode das Mysterium. Diese Zahl sei auch bei der Bevölkerungszählung 2011 bestätigt worden.

Die Bewohner wehrten sich und reichten, vertreten durch die Amtsgemeinde Schenkenländchen (Dahme-Spreewald), 2009 Klage gegen das Finanzministerium ein. Dadurch wollten sie rückwirkend eine Zahlung des entgangenen Geldes erwirken. Doch das Ministerium verwies auf das Landesstatistikamt, das die Bevölkerungszahlen liefert. »Deshalb legten wir auch Klage gegen diese Behörde ein, die aus unserer Sicht eine falsche Zählmethode anwendet«, berichtet Amtsdirektor Thomas Koriath in Teupitz.

Nun verhandelt das Verwaltungsgericht in Cottbus zuerst die Klage gegen das Landesstatistikamt, nachdem im vergangenen Jahr eine gütliche Einigung der Parteien gescheitert war. »Es geht darum, welche Einwohnerzahl für Schwerin rechtens ist - 602 oder 780«, erläutert der Gerichtssprecher Gregor Nocon. »Die Behörde beruft sich auf das Gesetz, das eine bestimmte Zählweise vorschreibt.«

Jedenfalls hoffen die Einwohner des kleinen Schwerin, dass ihnen das Gericht bei der Klage gegen die Statistikbehörde Recht gibt. Dann würden die Chancen steigen, dass sie in einem zweiten Verfahren Geld vom Land für die irrtümlicherweise verschwundenen Bewohner nachgezahlt bekommen. Ein Termin steht dafür nach Auskunft des Gerichtssprechers allerdings noch nicht fest.

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