Zwischen Zensur und Willkür

»Das Werk Heinrich Zilles im Nationalsozialismus«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Methode funktioniert seit Menschengedenken. Religionen, die ihre Vorgänger nicht beseitigen können, assimilieren sie, durch Besetzung alter Feiertage etwa mit neuem Inhalt. Ähnlich gehen politische Systeme bei missliebigen Künstlern vor. Als Beispiel dafür steht Heinrich Zille, »Pinsel-Heinrich«, 1872 bei Dresden geborener »Ur-Berliner«. Seine Lebens- und Schaffenszeit überstreicht drei Politordnungen, in zwei davon stießen seine Arbeiten auf heftigen Gegenwind.

Was er mit dem Zeichenstift in der Hand, sozialem Gewissen, wachem Sinn und karikaturistischem Strich vom Alltag in Berlins vermieften Hinterhöfen, kleinen Freuden in tristem Milieu festhielt und mit aussagestärkenden, zumeist deftigen Verbalkommentaren versah, erregte bereits in der ansonsten freizügigen Atmosphäre der Weimarer Republik Empörung. So fanden mehrere seiner Bücher Aufnahme in einen Katalog »unzüchtiger« Schriften, vehement verteidigt indes von Künstlerkollegen und Kommunisten. Das musste später den Nazis Zilles Werk suspekt machen.

Hinzu kommen zwei Filme, die nach Zeichnungen und Anekdoten des Meisters entstanden: 1925 »Die Verrufenen«, hochgelobt für ihre subtilen Milieubeobachtungen, 1929 der »proletarische« Streifen »Mutter Krausens Fahrt ins Glück«, uraufgeführt 1929, kurz nach Zilles Tod, im Wedding spielend und mit tragischem Ausgang. Das Plakat entwarf nach Zille-Typen immerhin Otto Nagel. Als einer der ersten Filme wurde Phil Jutzis Anklage übler Verhältnisse von den Nazis verboten. Mit Zilles zeichnerischem Oeuvre jedoch gingen sie widersprüchlich um.

Über neue Forschungsergebnisse zu diesem Themenkreis informiert der junge Kunsthistoriker Pay Matthis Karstens nicht nur in einem Buch, sondern auch in einer Kabinettausstellung der Villa Oppenheim. Zweigeteilt, nach den Phasen der Zille-Rezeption im »Dritten Reich«, hat er zusammen mit Sabine Meister den kleinen Raum gestaltet, der an typischen Exempeln aufzeigt, in welchem Dilemma sich die Reichshüter befunden haben müssen.

Da ist zum einen der Zille, der ab 1933 sukzessive »verfemt, verboten, beschlagnahmt« wurde - dies die resümierende Zeile des Ausstellungskapitels. Nicht nur der erwähnte Film wurde verboten, seine Kopien wurden vernichtet. Auch die Gedenktafel am Zille-Wohnhaus unweit der Villa Oppenheim verschwand, Zille-Bücher landeten auf der Liste jener Literatur, die aus deutschen Leihbüchereien zu entfernen sei. Und man veröffentlichte wieder schmähende Kritiken aus der Weimarer Republik. Nachzuweisen ist dennoch lediglich eine als »entartet« beschlagnahmte Zille-Zeichnung; auch auf der wüsten Hetzausstellung über »Entartete Kunst« in München tauchte der Berlin-Milljöh-Maler nicht auf. Vielleicht war dem populären Künstler, in Zeichnung und Buch weit verbreitet und hochbeliebt, so direkt nicht beizukommen. Vielleicht aber genoss er auch bei maßgeblichen Leuten Sympathien. Man entschloss sich daher zu einer anderen, sublimen Strategie. Da Zille nicht zu beseitigen war, annektierte man ihn mit propagandistisch krudem Pomp als Vorkämpfer für eine bessere Zeit, die des Nationalsozialismus. Ab 1936 wurden bewährte Zille-Bände wieder verlegt, allerdings auf infam verfälschende Weise.

Ohne neue Jahresangabe erschienen sie, statt in Antiqua-Schrift nun in altertümelnder Fraktur und, als schlimmster Eingriff, in einer »gesäuberten« Bildauswahl. Was den Nazis nicht in ihre »Bildungspolitik« passte - Elende, Behinderte, Kriegsversehrte, Juden, Arbeits-»Scheue«, alle warm anteilnehmend im Zille-Kanon vertreten -, wurde durch harmlosere Zeichnungen ersetzt. Übler noch der Umgang mit den Bildunterschriften: Sie wurden einfach entschärft und gemäß der Nazi-Ideologie umgedeutet.

Hervorgetan hat sich hier ein SS-Standartenführer mit literarischem Ehrgeiz und wohl auch Zille-Affinität. Besonders er holte den Zeichner auch eines Marx-Porträts vom Sozialkritiker »heim« in die Welt des Nationalsozialismus. So wurde aus der beklemmenden Grafik »Das eiserne Kreuz«, eine arme Familie vor dem Ehrenzeichen des gefallenen Ernährers, ein heroischer Durchhalteappell; aus dem Bauarbeiter von 1902, der sich beklagt, es sei wieder kein Fett in der Suppe, das gemütliche Familienidyll einer den Männe umsorgenden Ehegattin. Und Zille selbst, »vereinnahmt, übersehen, zensiert« (so ist der zweite Ausstellungsteil betitelt), der launige Chronist der kleinen Leute und trauriger Verhältnisse, die unter den Nazis doch nun überwunden seien.

Das machte Zille »hoffähig« und Ausstellungen mit seinen Werken wieder möglich. Selbst missliebige Zeichnungen fanden Eingang in Publikationen, was auf eine uneinheitliche Sicht auf Zilles Werk schließen lässt. Bis zum Bombardement durch Alliierte 1943 hingen auch in der Charlotten-Klause, die im Volksmund Zille-Klause hieß, mehr als 100 zeichnerische Gaben des Genius sowie mehrere Glasfenster mit seinen markanten Typen. Allen Versuchen der Nazis zum Trotz, Zille als militaristisch, gar antijüdisch zu vereinnahmen, ist sein Œuvre heute unverlierbarer Schatz eines in seiner Zeit engagierten Künstlers. Ihn nicht in eine irgend geartete Ideologie einzuspannen, bleibt Aufgabe für die Nachwelt.

Bis 4. August, Villa Oppenheim, Schloßstr. 55, Charlottenburg, Telefon: (030) 90 29 24 106, www.villa-oppenheim-berlin.de

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