Lichtspiel im Vorderhaus

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich wohne im Hinterhaus. Auf dem Messingschild vor der Haustür steht zwar »Quergebäude«, aber das ist ein Wort, dass außer Maklern niemand benutzt. Hinterhaus, das klingt vermutlich nicht ausreichend prestigeträchtig, um hohe Provisionen einfordern zu können - zu sehr nach Hinterhof, Schmuddelkind. Würde sich schlecht machen, so ein Unter- oder Hinterschicht-Wort, auf einem Schild, das leuchtet, als wäre es echtes Gold.

Ich wohne also im Hinterhaus, und um dort hinten hinzukommen, muss ich den Hausflur des Vorderhauses durchqueren. Würde ich hingegen im Vorderhaus wohnen - das übrigens, im Gegensatz zum Hinterhaus, nicht nur über ein Treppenhaus, sondern sogar über einen Fahrstuhl verfügt -, dann müsste ich nie auch nur einen Schritt ins Hinterhaus setzen. Ignoranz gegenüber uns Hinterhäuslern ist das Privileg der seit jeher arroganten Vorderhausbewohner.

Ich aber wohne im Hinterhaus. Und weil ich ein umweltbewusster Hinterhausinsasse bin, spare ich Strom. Wenn ich im Dunkeln nach Hause komme und den Flur des Vorderhauses durchqueren muss, mache ich für die paar Meter niemals das Licht an. Schließlich kenne ich den Weg so gut wie den vom Bett zum Kühlschrank. Nicht auszudenken, was es kosten würde, jedes Mal das Licht einzuschalten, wenn man nachts Durst bekommt. Außerdem würde das die anderen Leute wecken, die in meinem Bett schlafen. Wir sind nämlich ziemlich viele in unserer Hinterhaus-Wohnung.

Aber auch beim nächtlichen Gang durch das Vorderhaus verzichte ich auf das Licht. Erstens könnte es sein, dass auf irgendeinem Treppenabsatz jemand schläft, den ich lieber nicht wecken will. Zweitens, wie gesagt, spart das Strom. Es wäre doch ökologisch der schiere Wahnsinn, fünf Stockwerke in gleißendes Kunstlicht zu tauchen, nur um die paar Bodenfliesen zu beleuchten, über die ich gehen muss, wenn ich nachts durchs Vorderhaus ins Hinterhaus gelangen will. Nicht mit mir!

Aber neulich, wie ich da mit schlafwandlerischer Sicherheit durchs Vorderhaus eile, bin ich mitten im Flur über ein riesiges eckiges Etwas gestolpert und auf die Nase gefallen. Da hab ich doch das Licht angemacht. Es war ein Röhrenfernseher. Offenbar hat einer der feinen Vorderhäusler sich so einen neumodischen Flach-Screen mit vier Meter Bildschirmdiagonale gekauft und das alte Gerät einfach in den Weg gestellt. Könnte ja sein, dass sich einer von den Hinterhausierern über den Elektroschrott freut. Denkste, Yuppie! Kaputt getreten hab ich das olle Mistding. Mein Fuß schmerzt jetzt noch bei jedem Schritt. Und wir haben nicht mal einen Fahrstuhl.

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