Mehr Demokratie ohne Landkreise

In Brandenburg empfehlen Bürgermeister der LINKEN bessere Verwaltung durch große Verbandsgemeinden

Während erst in der Brandenburger SPD und dann auch außerhalb der Partei darüber debattiert wurde, die Zahl der Landkreise und kreisfreien Städte zu reduzieren, schwebt Bürgermeistern der Linkspartei eine radikale Lösung vor: Sie können sich vorstellen, die Landkreise ganz abzuschaffen.

Kreisgebietsreformen sind ein heißes Eisen. 2006 zerbrach die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern auch wegen der Absicht der SPD, das Bundesland in lediglich fünf oder sogar nur vier riesige Landkreise zu unterteilen. In Brandenburg ist der Zuschnitt der Landkreise zuletzt 1993 verändert worden. Seitdem gibt es 14 Landkreise und die vier kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder). Eine erneute Kreisgebietsreform ist bis zur Landtagswahl 2014 im rot-roten Koalitionsvertrag ausgeschlossen. Für die Zeit danach hat die SPD jedoch Pläne in der Schublade. Es gibt Modelle mit zwölf, acht oder fünf Kreisen und den Vorschlag, dass nur die Landeshauptstadt Potsdam kreisfrei bleibt - wenn überhaupt.

Hintergrund ist die Bevölkerungsentwicklung. Kein Landkreis sollte weniger als 200 000 Einwohner zählen. Doch im Jahr 2030 würden zehn der 14 Kreise und vier Städte weniger als 150 000 Einwohner haben. Einige befinden sich bereits unterhalb der Marke.

Weite Wege zu Ämtern und Behörden

Die Folge riesiger Landkreise wären weite Wege zu Behörden und die Kreisverwaltung würde unweigerlich den Überblick verlieren, warnen Kritiker. Trotzdem rechnet es Bürgermeister Uwe Klett (LINKE) einigen jungen Sozialdemokraten hoch an, dass sie die richtigen Fragen zur Zukunft der öffentlichen Verwaltung gestellt habe. »Leider sind sie zurückgepfiffen worden«, bedauert der Rathauschef von Fredersdorf-Vogeldorf (Märkisch-Oderland).

Seit ungefähr zwei Jahren trifft sich Klett regelmäßig mit anderen hauptamtlichen LINKE-Bürgermeistern Brandenburgs. Sie fragen sich, wie eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung angesichts des Bevölkerungsschwunds in weiten Teilen des Landes künftig noch organisiert werden kann. Klett zufolge gehören zum »harten Kern« der Runde neben ihm selbst Ute Hustig (Nuthetal), Klaus-Dieter Hartung (Hohen Neuendorf), Karsten Knobbe (Hoppegarten) und Detlef Tabbert (Templin).

Uwe Klett umreißt die Problemlage: Eine Gemeinde wie die seine - in Fredersdorf-Vogelsdorf leben rund 12 000 Menschen - kann sich ungefähr 40 Mitarbeiter leisten. Sie benötigt aber beispielsweise einen Experten, der sich mit Bauanträgen auskennt. Zwar gehen solche Anträge an das Bauamt der Kreisverwaltung. Die Gemeinden sind jedoch zu Stellungnahmen aufgefordert. Falls der eine kundige Mitarbeiter Urlaub hat oder krank ist, bleibt die Arbeit liegen. Zwei Experten wären also besser. Aber das ist in der Realität bei einer Gemeinde mit 12 000 Einwohnern nicht finanzierbar. Kollege Hartung im etwa 26 000 Bewohner zählenden Hohen Neuendorf, der könne sich eine schlagkräftige Verwaltung leisten.

Die Richtgrößen sind umstritten

Uwe Klett selbst regierte von 2001 bis 2006 den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit seinen 250 000 Bewohnern und führte eine entsprechend umfängliche Bezirksverwaltung. Von daher weiß er die Fähigkeiten seiner jetzigen Untergebenen in Fredersdorf-Vogelsdorf zu schätzen. Die müssen fünf bis sechs Fachgebiete beherrschen.

Die Enquetekommission des Landtags zur Zukunft der Landes- und Kommunalverwaltung schlägt gegenwärtig vor, die Richtgröße für eine Amtsgemeinde von 5000 auf 10 000 Bewohner anzuheben. Schon das ist umstritten. Nach Kletts Ansicht müsste die Richtgröße bei mindestens 20 000 Einwohnern liegen. Das sei die »kritische Masse« für eine leistungsfähige Verwaltung. Vernünftigerweise sollten deshalb im Berliner Umland beispielsweise die Gemeinden Fredersdorf-Vogelsdorf und Petershagen-Eggersdorf sowie Hoppegarten und Neuenhagen fusionieren. Im dicht besiedelten Speckgürtel der Hauptstadt wären derartige Zusammenschlüsse unproblematisch, da die Wege trotzdem kurz bleiben würden.

Anders sehe es in den ländlichen Regionen aus. Hier wären andere Lösungen erforderlich. Die sozialistischen Bürgermeister bieten eine solche Lösung an: die große Verbandsgemeinde als Dach für kleinere und weiterhin selbstständige Gemeinden.

Klett hat sich das Modell der Verbandsgemeinde in Sachsen-Anhalt genau angesehen und ist - mit einigen Abstrichen - von den Vorzügen überzeugt. An der Spitze der Verbandsgemeinde würde ein direkt gewählter Bürgermeister stehen. Dagegen werden Amtsdirektoren in Brandenburg bislang bestellt. Auch die der Verbandsgemeinde zugehörigen Gemeinden hätten gewählte Bürgermeister und würden über ihr Budget jeweils selbst entscheiden. So wäre nach Ansicht von Klett und Kollegen demokratische Mitsprache vor Ort gewährleistet. Hingegen hat die Gemeindegebietsreform von 2003 in Brandenburg dazu geführt, dass Dörfer, die in die nächstgrößere Stadt eingemeindet wurden, nicht mehr selbst über ihre Finanzen entscheiden dürfen.

Die Verbandsgemeinde wäre ein ganz anderer Weg. Weite Wege zur Behörde wären unumgänglich. Aber nach Ansicht von Klett wird dieses Problem überschätzt. Der Bürger habe gar kein großes Bedürfnis, Amtsstuben persönlich aufzusuchen. In mindestens 80 Prozent der Zeit laufe Verwaltungsarbeit ohne den direkten Kontakt zum Bürger. Den Menschen genüge es, Anliegen per Telefon, Post oder E-Mail vorzubringen. Entscheidend sei am Ende, dass Eltern einen Kitaplatz bekämen. Wo der Antrag bearbeitet werde, sei ihnen völlig egal. »Die Verwaltung könnte theoretisch auch in Honolulu sitzen«, scherzt der 53-jährige Bürgermeister.

Im berlinfernen Raum würden sich Verbandsgemeinden mit 20 000 bis 30 000 Einwohnern perspektivisch auf die Gebiete erstrecken, die der Größe eines Kreises in der DDR entsprechen. Diese Größenstruktur bestand in Brandenburg bis 1993. Wenn es so sei, überlegt Klett konsequent, »dann frage ich, wozu wir überhaupt noch Landkreise brauchen?« Die nächsthöhere Ebene nach Städten und Verbandsgemeinden könnte das Land sein, notfalls könnten Verwaltungsämter zwischengeschaltet werden.

Klett: Kreise sind nicht unverzichtbar

Gewöhnlich wird der Busverkehr als Beispiel dafür genannt, dass Kreise unverzichtbar seien, denn nur die Kreisverwaltung habe den Überblick. Klett hält nichts von diesem Argument. Gewöhnlich müsse dem Kreis doch erst gesagt werden, wo eine Buslinie gebraucht werde. Und während in Orten im Berliner Umland die Busse eigentlich im 20-Minuten-Takt verkehren sollten, um den Anschluss an die S-Bahn zu gewährleisten, fahren die Busse anderswo selten und befördern oft trotzdem nur Luft.

Klett will dafür sorgen, dass die Vorstellungen der Bürgermeister-Runde debattiert werden, wenn die LINKE ihr Programm für die Landtagswahl 2014 aufstellt.

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