Mit »Nollie-Madonna« zum Sieg

Die selbst ernannte Alternativ-Olympiade X-Games fand erstmals in Deutschland statt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Sportwesen rümpft die Nase über »Spektakel« wie die X-Games - und hat doch längst begonnen, sie nachzuahmen.

Ein Klischee über Skateboarding und die mehr oder minder artverwandten Praktiken, die seit Donnerstag im Rahmen der »X-Games« den Münchner Olympiapark füllten, konnte beim aufmerksamen Beobachter nicht überleben: Dass solche Sachen für Kinder seien. Im Skateboard-Halfpipe-Wettbewerb gewann der 40-jährige Amerikaner Bucky Lasek - und der Brasilianer Bob Burnquist zählt auch bereits 39 Lenze. Er ist der Superstar des »Big Air«-Springens, bei dem sich die Skateboarder eine Art Sommer-Skisprungschanze hinunterstürzen, um nach einem 30-Meter-Flug auf eine weitere, vertikale Schanze zuzurasen, deren Radius der Höhe eines durchschnittlichen Einfamilienhauses entspricht.

Werbe- statt Jugendsprache

Ansonsten haben es die X-Games-Veranstalter den Traditionalisten des Sports leicht gemacht: Wer seine Veranstaltung als »Spektakel« ankündigt, in seinen Sendungen Werbe- und Jugendsprache verwechselt und die ganze Meile mit riesengroßen knallbunten Logos vollpflastert, muss sich nicht wundern, wenn statt der Sportredakteure die Kollegen vom Vermischten anrücken. Die Berichte bewegen sich dann automatisch im Genre »Tollkühne Jungs mit fliegenden Untersätzen« - nicht selten mit dezentem Verweis auf mutmaßliche Krankenhauskosten.

Wie wenig man so dem Treiben gerecht wird, zeigt schon ein kurzer Blick auf Laseks Siegeslauf in der Halfpipe: Gewonnen hat er nicht aufgrund besonders krasser Luftsprünge, sondern mit einem »Nollie-Madonna« - ein unspektakuläres, aber schwieriges Manöver knapp über der Kante. Doch während Sportarten wie Wasserball oder Eiskunstlauf in der Sportpresse jederzeit eine Fachdebatte über Rückhand-Wurftechniken, Toeloops und Rittberger zugestanden wird, ist es dort nicht möglich, über »Frontside-Grinds« oder »Backside-Airs« zu berichten.

Skateboard- und auch BMX-Protagonisten klagen gerne über diese Missachtung. Vor dem Münchner Spektakel etwa forderte Skateboarder Nyjah Huston eine Aufnahme ins olympische Programm. Doch das Problem sind nicht nur ignorante Presseleute, sondern auch die eigene Neigung, im Zweifelsfall lieber mit einem Werbemann zu reden als mit einem Verbandsfunktionär.

Noch um 1990 gab es mit der US-amerikanischen »National Skateboarding Association« und dem »Deutschen Rollsport-Bund« neutrale Instanzen. Doch dann übernahmen kommerzielle Akteure. Seither fehlt im Skateboarding, dessen Strukturen für viele Nachbarpraktiken vorbildlich sind, eine Ebene zwischen Sport und Sponsoren. So picken sich diese jeweils als »Disziplin« heraus, was ihnen vermarktbar scheint. Eine stabile Sportart lässt sich so nicht etablieren - und diese Eigenheit verleiht den Fun- und Action »Events« jene spezielle überkommerzielle Note, die selbst FIFA und IOC nach Non-Profit aussehen lässt.

Semi-virtuelle Risikospirale

Die X-Games, die erstmals in Deutschland stattfanden, sind typisch für diese Konstellation. Ersonnen wurde die selbst ernannte Alternativ-Olympiade, die sich seit 1995 in wechselnden Konstellationen um Skateboarding und BMX gruppiert, direkt vom USA-Sport-TV-Giganten ESPN. Daher entscheidet die Quote über die aufgeführten Sportarten, ungerührt werden diese nach den (vermeintlichen) Bedürfnissen eines Massenpublikums bearbeitet. So war während der ersten X-Games in der Skateboardszene nichts so »out« wie meterhohe Holzrampen. ESPN präsentierte trotzdem die telegene Halfpipe als »Königsdisziplin« - und führte sie so erst wieder ein. Das um 2003 »erfundene« Big-Air-Springen muss sogar ganz als Idee der Fernsehleute gelten. Womöglich wollten sie damit auf die zuvor populär gewordenen Skateboard-Videospiele reagieren: In diesen konnte man schließlich auch über Häuser fliegen.

Die Kritiker des semi-virtuellen Actionspektakels haben recht, wenn sie die Risikospirale monieren, die in der Logik solcher Events liegt. Sie verkennen aber zuweilen, dass die Gefahr nicht dem BMX- , Snowboard- oder Skateboardfahren selbst innewohnt. Sie entsteht dann, wenn solche Praktiken mit dem höher, weiter und schneller des traditionellen Sports gekreuzt werden. Darin sind die ESPN-Games Vorreiter - und der 24-Jährige, der kürzlich bei einem Schneemobilsalto starb, gab sein Leben tatsächlich für die Winterausgabe des Privatfernsehspektakels.

Die Trickskifahrerin Sarah Burke dagegen, die 2012 in einer Schnee-Halfpipe starb, trainierte für eine Disziplin, die 2011 ins Olympia-Programm aufgenommen wurde. Seit geraumer Zeit schon ist unübersehbar, wie sehr der etablierte Sport die Formen seines ungeliebten Action-Stiefkindes kopiert: »Urbane« Leichtathletikwettbewerbe, Biathlon in Fußballstadien und Alpin-Slaloms in der Innenstadt sind ebenso Zeugen davon wie gerappte Spielkritiken zur Fußball-Nationalelf. Wer hindert die Sportverbände eigentlich daran, bei der nun offenbar einsetzenden Übernahme auch der Praktiken des Action-Genres einen Gegenpol zu setzen und bei Olympia »realistischere« Halfpipes oder »Slopestyle«-Pisten einzurichten?

Freiheit durch Stempelkissen

Aus den »Szenen« gäbe es dafür vermutlich sogar Applaus. Und vielleicht wäre die Skateboard-Praktik, um die Olympia auf lange Sicht tatsächlich nicht herumkommt, die geeignete Partnerin einer solchen Mäßigungsübung. Dort gibt es nicht wenige Kritiker des »X-Ismus« und der Platzierung von Skateboards neben Rallye-Motoren. Zuvor aber müssten die notorisch antibürokratischen Skateboarder einsehen, wie befreiend unter Umständen ein Stempelkissen sein kann - und nach über 50 Jahren endlich einen repräsentativen Verband auf die Beine stellen, der unabhängig Standards im Interesse der Aktiven definieren könnte. Immerhin hoffen kann man, dass es dazu nicht weiterer schwerer Unfälle bedarf. In München ist es glücklicherweise nicht zu solchen gekommen. Nicht mit Skateboards, nicht mit Motorrädern, nicht mit den Rallye-Autos - und auch nicht bei der erstmals präsentierten »Disziplin« Mountainbike-»Slopestyle«, obwohl die Aufbauten in dieser Hinsicht einige Sorge hatten aufkommen lassen.

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