nd-aktuell.de / 05.07.2013 / Kultur / Seite 12

Zehn Jahre auf dem Buckel

Der Theaterdiscounter feiert weiterarbeitend Geburtstag

Lucía Tirado

Gegenüber der alten Klosterruine machen sie Theater. Ein Künstlerviertel ist das nicht gerade - auch wenn »Kulturprojekte Berlin« auf der anderen Straßenseite im Podewil waltet. Wer also abends Kultur suchend seine Schritte in die Klosterstraße in Mitte lenkt, will in den Theaterdiscounter und nimmt den schmucklosen Aufgang zu den Verwaltungsräumen des früheren Post- und Fernmeldeamtes. Freundlicher Empfang an der mobilen Abendkasse. Links geht’s zu den Theaterräumen, rechts zur kleinen Theaterbar. Wohl des Wegweisens müde, brachte man ein kleines Schild für den Wanderweg zum Klo an: »63,43 Meter«.

Seit 2009 sind die Künstler hier. 2003 von Schauspieler und Regisseur Georg Scharegg mit Gleichgesinnten gegründet, verbrachte der Theaterdiscounter seine ersten Jahre an der Monbijoustraße, solange das Gebäude des alten Telegrafenamtes für ihn nutzbar war. Nun hat das Theater zehn Jahre auf dem Buckel, kann auf 170 Produktionen verweisen.

Immer wieder staunt man, wie verschiedenartig der große Theaterraum mitspielt. Jedoch stets ist das Bühnenbild einfach und zweckmäßig. Das ginge auch gar nicht anders. Zwei Drittel der 150 000 Euro Förderung im Jahr fressen Miete und Betriebskosten. Für die Geburtstagsproduktion »Das Stadttheater ist tot! Leben wir noch?« verwandelte sich die Fläche gegenüber den Zuschauerplätzen in das, was es hier nie geben wird - in eine Theaterkantine mit verdrossenen Schauspielern. Entworfen hatte sie Helmut Brosch, einer der frühen Weggefährten Schareggs. Brosch, der inzwischen selbst inszeniert, ließ sich das nicht nehmen. Im Februar zeigte er im Ballhaus Ost sein Stück »Etwas Schokolade«. Bittersüß war das. Im Theaterdiscounter konnte man ihn leicht sauer antreffen. Für seinen Geschmack waren zu wenig der rund 1000 Künstler, die in den zehn Jahren in diesem Theater produzieren konnten, zum Geburtstag gekommen. Vergesslichkeit ärgert ihn.

Georg Scharegg haderte nicht. Es ist wohl die Art des Schweizer Wahlberliners, schnell zur Tagesordnung überzugehen. Besorgt sieht er die Zukunft der Off-Bühnen. Immer schwerer werde es für sie, in Berlin ihre Räume zu halten, fast unmöglich, neue zu finden. Dabei brauche das etablierte »Stadttheater« - also auch das getätschelte Staatstheater - Gegenwind. Reibung ist dem experimentellen Theater Motivation, die Entwicklung der Sprechbühne mit Verve voranzutreiben.

Genau darum geht es in der Geburtstagsjahrproduktion, die im Herbst zugespitzt wieder gezeigt werden soll. Was ist modern, und wie will sich das Regietheater sehen? Braucht die Netzgesellschaft noch Leute, die von der Bühne herab oder gar für sich auf der Bühne spielen? Was ist überhaupt Hochkultur? Wird Odoardo, der seit 1772 zustechende Vater Emilia Galottis, überzeugender, wenn er sich nach der Eingebung eines heutigen Regisseurs Blut im Gesicht herumschmiert?

Silke Bucholz, Anette Daughardt, Cathrin Romeis, Sébastian Jacobi, Jaron Löwenberg, Matthias O. Schneider und Christoph Schüchner - ansonsten an anderen Bühnen in ganz Deutschland engagiert - fanden sich ein, das spöttische Theater übers Theater aufzuführen. Auch Regisseur Scharegg spielte mit.

Dass das Publikum im etablierten Theater kaum noch etwas zu melden hat, klang mehrfach an. Für Georg Scharegg spielen Zuschauer eine starke Rolle. Er will wissen, ob er mit dem, was er macht, verstanden wird, und spricht von Vertrauensbeziehung. »Wem so etwas egal ist, der kann keinen Erfolg haben.«

Theaterdiscounter, Klosterstr. 44, Mitte. www.theaterdiscounter.de[1]

Links:

  1. http://www.theaterdiscounter.de