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Revolution und Arbeitsbeziehungen in Deutschland

Die Erfahrung von 1918 und das Stinnes-Legien-Abkommen / Neuer Sammelband erschienen

  • Reiner Tosstorff
  • Lesedauer: 3 Min.
War das Stinnes-Legien-Abkommen von 1918 mit seinen Vereinbarungen zum Abschluss von Tarifverträgen und der Gründung von Arbeiterräten ein Ergebnis von Erfolg oder Zögern der Gewerkschaften nach der Revolution?

Die Diskussion über die Revolution von 1918 konzentriert sich oft auf die politische Umwälzung. Dieser Blickwinkel ist selbstverständlich nicht falsch, doch auch eine Momentaufnahme. Sie hatte eine lange Vorgeschichte, über die Bewegung der Matrosen und die Streiks in den Rüstungsbetrieben hinaus.

Schon in den Friedenszeiten des Kaiserreichs hatten die Missstände an den Arbeitsplätzen zur Aufstellung langer Forderungslisten geführt. Nun aber wurden die Gewerkschaften anerkannt, und ein bis heute wirkendes System der Arbeitsbeziehungen entwickelte sich. Diese damaligen Umbrüche gaben anlässlich des 80. Jahrestags der Revolution den Anstoß für zwei wissenschaftliche Tagungen in Hamburg und Bochum, deren Ergebnisse nun in dem Sammelband »Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918 - 1920« vorliegen.

Ein neues Modell

Dreh- und Angelpunkt ist das nach seinen Hauptunterzeichnern benannte Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 zwischen den Unternehmerverbänden und der Gewerkschaftsbewegung mit der Einrichtung einer bis 1924 wirkenden Zentralarbeitsgemeinschaft. Vor dem Hintergrund der revolutionären Situation unterstützten sie sich mit ihrem Zusammengehen gegenseitig, um weitergehende Forderungen - beispielsweise nach Vorherrschaft der Räte oder Durchführung der Sozialisierung - abzuwehren. Damit war ein heute als Korporatismus bezeichneter Verbund geschaffen, dem in der Folgezeit eine gesetzliche Form gegeben wurde, vor allem mit der Tarifvertragsverordnung und dem Betriebsrätegesetz. Dies begründete das System der »Sozialpartnerschaft« in Deutschland.

In 20 Beiträgen werden die verschiedensten Aspekte dieser Umgestaltung nachgezeichnet. Es handelt sich um eine Mischung aus regionalgeschichtlichen Studien, auch kulturelle Aspekte werden dabei berücksichtigt, und vor allem aus Beiträgen zur Gesamtentwicklung von Betriebsverfassung, Tarifvertragswesen, sonstigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen und nicht zuletzt der Gewerkschaftsbewegung in den Jahren unmittelbar nach 1918. Immer wieder verbindet sich dies mit einem Überblick über den bisherigen Kenntnis- und Forschungsstand und vor allem über die im Laufe der Zeit geäußerten unterschiedlichen Bewertungen. Zwar begnügen sich die Autoren weitgehend mit dem durch das Stinnes-Legien-Abkommen gesetzten Rahmen und erklären ihn in der damaligen Situation für nicht überschreitbar. Doch unvermeidbar durchzieht die meisten Beiträge die Frage nach den konkreten Spielräumen und den vorhandenen Kräfteverhältnissen.

Veränderte Bedingungen

Schon bald mussten die Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen, wie sich ab Anfang 1919 das Kräfteverhältnis zu ihren Ungunsten entwickelte. Im Gefolge verschlechterten sich die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen auf dem Weg von den Entwürfen zur Verabschiedung, auch wenn die Gewerkschaften sie dann als »kleineres Übel« gegenüber der Situation im Kaiserreich und aus Rücksicht auf die Koalitionspolitik der SPD akzeptierten.

Insgesamt also ein Band, der entsprechend seinem akademischen Anspruch vor allem durch Materialfülle und dichte Informationen besticht, aber weiterhin nach der Lektüre die Frage aufwirft, inwieweit 1918 Wege offen waren, die von den dominierenden Kräften der Arbeiterbewegung nicht beschritten wurden, während es ein solches Zögern auf der Unternehmerseite angesichts des sich schnell zu ihren Gunsten ändernden Kräfteverhältnisses nicht gab.

K. C. Führer / J. Mittag / A. Schildt / K. Tenfelde (Hg.), Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920, Klartext Verlag, Essen 2013, 466 S., 39,95 Euro.

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