nd-aktuell.de / 06.07.2013 / Kultur / Seite 25

Kräftig und lebenslang Brecht

Stefan Lisewski 80

Hans-Dieter Schütt

Wann sieht das Theater alt aus? Wenn es seinen Mut verliert, uralt zu sein. Das Uralte ist in jeder Gegenwart seine Zukunftschance. Und dies Uralte besteht auch in der Pflege einer schauspielerischen Aura, die sich in der Mäßigung und Zähmung durch einen hoch angesehenen Text erfüllt. Von solcher Aura war Stefan Lisewski, von 1957 an, über vierzig Jahre, Schauspieler am Berliner Ensemble. Mitarbeiter einer großen Ära. Welttourneen mit Wekwerth-Palitzsch-Tenschert-Kunst.

Er war, vom Äußeren her, der ideale Macheath, brillierte grotesk-vertrackt in O'Caseys »Purpurstaub« und spielte in Müllers »Zement« nach Gladkow, Regie: Ruth Berghaus, den Revolutionär Gleb Tschumalow. Dessen männlich-soldatisches Selbstbewusstsein auf die Emanzipationskraft seiner Frau prallt. Vielleicht eine der entscheidenden Rollen Lisewskis; da durfte auf besondere Weise der Protagonist erwachen, und dieser Gleb war von klobig-berührender, fast tierischer Bewusstlosigkeit; ein von emanzipatorischer Weiblichkeit besiegter Kraftprotz verstand die Welt nicht mehr, für die er doch an den Kriegsfronten des frühen Sowjetstaates sein Leben in die Waagschale geworfen hatte. Das Neue herbeizukämpfen - es ist einfacher, als dies Neue zu leben.

Lisewski, 1933 in Dirschau geboren, dem polnischen Tczew; er wollte Hütteningenieur werden, arbeitete als Schmelzer im Ernst-Thälmann-Kombinat Magdeburg. Bis in kleinste Rollen hinein Präsentant einer anspruchsvollen Spielkultur.

Kräftige Statur, die blonden Haare, eine mit dunkler Klarheit gesättigte Stimme - im Kino war er das, was man einen Publikumsliebling nennt. Sein komödiantischer Leicht-Sinn besaß Charakter, seine Ernsthaftigkeit vergrub sich nicht ins Unnahbare (»Verwirrung der Liebe«, »Das Lied der Matrosen«, »Beethoven - Tage aus einem Leben«, im Fernsehen »Gevatter Tod«, »Levins Mühle«). Und in den beliebten Adlershofer TV-Geschichten um den »Spuk im Hochhaus« oder den »Spuk unterm Riesenrad« zeigte er eine überschäumende Gaukel- und Toblust, die einen aufgekratzten Gegensatz schuf zu seiner ansonsten wohlgeformten Gefasstheit.

Es gab einen genialen deutschen Arturo Ui: Ekkehard Schall, ab 1958. Es gibt einen genialen deutschen Arturo Ui: Martin Wuttke, seit 1995. In der legendären Inszenierung von Manfred Wekwerth und Peter Palitzsch war Lisewski ein Leibwächter, in Heiner Müllers letzter, noch immer im Spielplan glänzender Regie-Arbeit ist er - an »seinem« Theater - nach wie vor der Dogsborough, diese tapsig vernunftdemente Hindenburg-Travestie.

Heute wird Stefan Lisewski achtzig Jahre alt.