nd-aktuell.de / 09.07.2013 / Brandenburg / Seite 11

Warum gingen sie nicht zu zweit?

Polizeiausbilder analysieren das Vorgehen des Todesschützen vom Neptunbrunnen

Ralf Hutter

Zwei Professoren der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), die Polizeibeamte ausbilden, geben »nd« eine Einschätzung des Polizeieinsatzes vom vorvergangenen Freitag am Neptunbrunnen vor dem Berliner Rathaus, bei dem ein Mann erschossen wurde. Sie haben viel Verständnis für das Vorgehen des späteren Todesschützen. Doch können sie nicht alle Zweifel ausräumen.

Zur Erinnerung: Ein sich selbst mit einem Messer verletzender und blutender Nackter im Neptunbrunnen sorgte für einen Polizeieinsatz. Währenddem ein Beamter in den Brunnen stieg, von dem an Schizophrenie Leidenden angegriffen wurde und ihn in Notwehr erschoss. »nd« fragte daraufhin vergangene Woche: Warum führte der spätere Todesschütze indirekt die Notwehrsituation herbei? In welchem Ausmaß musste sich in dem Moment überhaupt die Polizei dem bewaffneten Nackten nähern - ohne psychologische Hilfe oder ein besonders geschultes Spezialeinsatzkommando?

»Die Notwehrsituation ist nicht indirekt herbeigeführt worden«, sagt Hans R. Strahlendorf, Professor für Führungs- und Einsatzlehre an der HWR. »Wenn jemand in einem Brunnen sitzt und sich selbst mit einem Messer erheblich verletzt, kann kein Polizist tatenlos zuschauen. Wir brauchen keine Polizei, die in akuten Notsituationen zuwartet oder sich selbst Hilfe holt. Der Beamte hat in dieser Situation richtig und in Übereinstimmung mit den Inhalten der polizeilichen Aus- und Fortbildung gehandelt. Es gab in diesem Fall, wie in ca. 80 Prozent der vergleichbaren Fälle, die reale Chance, die Person durch Kommunikation von ihrem selbstschädlichen Tun abzubringen.« Dem Polizeiausbilder zufolge verfügen die Polizist_innen über »genügend Basiswissen im Umgang mit psychisch gestörten Menschen«.

Weniger deutlich positioniert sich Strahlendorfs Kollege Bernd Grigoleit, auch er Professor für Einsatzlehre an der HWR und vorher 28 Jahre lang Polizist. Er hält die erwähnten Fragen für berechtigt. Entscheidend sei, ob der Beamte erkennen konnte, ob die Selbstverletzungen des Nackten eine schwere Gesundheitsgefahr darstellten.

Doch selbst wenn es danach aussah - warum stieg der Beamte alleine zu dem offensichtlich potenziell gefährlichen Mann in den Brunnen? »Es gibt keine Anweisung, die diese Situation regelt«, sagt Grigoleit. »Man kann nicht jede Bedrohungssituation regeln.« Nur für Extremsituationen wie Amokläufe gebe es konkrete Verhaltensvorschriften. Doch voll und ganz plausibel ist das Vorgehen des späteren Todesschützen auch für Grigoleit nicht: »Grundsätzlich schreiten Beamte zu zweit ein, um sich gegenseitig zu sichern. Warum das hier nicht passiert ist, weiß ich nicht.«

Angaben dazu kann die Staatsanwaltschaft ebenfalls nicht machen. Sie teilt jedoch mit, dass nach jetzigem Stand mit einem Abschluss der Ermittlungen in wenigen Wochen zu rechnen ist.