Wer im Glashaus sitzt ...

Erich Schmidt-Eenboom über die Causa Snowden, den BND und Obamas Pein

  • Lesedauer: 6 Min.
Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, stand 2005 im Fokus der Journalistenabhöraffäre des BND. Er verfasste zahlreiche Bücher, u.a. »Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten«, »Undercover. Wie der BND die deutschen Medien steuert«, »Schnüffler ohne Nase« und »Die schmutzigen Geschäfte der Wirtschaftsspione«. Mit dem Geheimdienstexperten sprach Karlen Vesper.

Nun gibt es aus US-Sicht bereits zwei »most wanted persons«: Julian Assange und Edward Snowden. Beide sitzen in der Falle. Was würden Sie Snowden raten?
Snowden wäre in der Volksrepublik China oder in der Russischen Föderation sicher gewesen, weil ihn die dortigen Nachrichtendienste schützen können vor Entführungsoperationen oder gar Schlimmeres. Aber offensichtlich gehört es nicht zu seinem Lebensentwurf, für immer in China oder Russland zu bleiben. Er wird in Lateinamerika landen und Schutz einer Regierung bekommen. Zweifelhaft ist, wie sicher der ist.

Lateinamerika ist nicht mehr der Hinterhof der USA.
Aber die CIA hat dort, trotz sehr US-kritischer Regierungen, etliche Nachrichtendienstler, die von ihr ausgebildet wurden. Das macht es leichter, jemanden ausfindig zu machen. Bei dem Druck, der auf Obama wegen der Riesenblamage lastet, ist damit zu rechnen, dass ein Entführungsauftrag ergeht.

Lateinamerikanische Staaten haben Snowden Asyl angeboten, aber kein europäischer Staat. Was fürchtet Europa?
Die USA würden es als nachhaltigen Affront begreifen, wenn etwa die Bundesrepublik Snowden Aufnahme gewährte. Ich hielte das auch für keine glückliche Lösung. Die CIA hat im April 1991 einen so genannten Verräter von deutschem Boden entführt. Die Bundesregierung protestierte nicht, hat den Eingriff in die Souveränität hingenommen. Snowden ist nur mit gigantischem personellen und finanziellen Aufwand zu schützen. Und man riskiert einen Dauerkonflikt mit den USA.

Auch gegen die NSA-Bespitzelung protestiert die Bundesregierung nicht. Weil man eingeweiht war, sie gar guthieß?
Die Reaktionen der Öffentlichkeit sind sehr vehement. Wenn die Bundesregierung behauptet, nichts gewusst zu haben, sollte man einen Blick zurück werfen: Anfang der 90er Jahre forderte Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer, nachrichtendienstlich zur Rundumverteidigung überzugehen.

Das heißt?
Sich nicht nur gegen Angriffe aus dem Osten zu schützen, sondern zunehmend aus dem Westen. Der Geheimdienstkoordinator, dessen Informationen aus Kreisen des BND, des Bundesamtes für Sicherheit und Informationstechnik und des Verfassungsschutzes stammen, hat dies offen proklamiert. Man ist also nicht ahnungslos. Zudem hatten wir einen analogen Skandal auf europäischer Ebene.

Echelon.
Das Europaparlament forderte 2002 die EU-Kommission auf, in Verhandlungen mit den Betreibern des angelsächsischen Abhörprogramms, insbesondere den USA, zu treten, um den Datenschutz für die Bürgerinnen und Bürger Europas zu gewährleisten und die europäische Industrie vor Wirtschaftsspionage zu schützen. Das war vor elf Jahren. geändert hat sich nichts. Deshalb habe ich auch jetzt keine großen Erwartungen. Es werden wohlfeile Worte zu hören sein. Aber dass die Briten und Amerikaner ihre Spionage gegen ihre europäischen Partner einstellen, ist nicht anzunehmen. Nach einem Sommer der Aufregung wird es nachrichtendienstliches »Business as usual« geben.

Ist dem BND das alles egal?
Nein. Er sitzt in einer Zwickmühle. Er hat sich seit Mitte der 70er Jahre um eine engere Kooperation mit den US-Amerikanern und Briten bemüht. Es gab Verbindungsbüros in München, in Krailling, in Augsburg. Die USA hatten zwei gigantische Aufklärungsstationen in Bayern, in Gablingen bei Augsburg und in Bad Aibling, und den BND mit einer Arbeitsgruppe einbezogen. Die Zusammenarbeit damals war gegen die Staaten des Warschauer Vertrages gerichtet.

Nach Nine/Eleven 2001 hat sich der Schwerpunkt verlagert. Jetzt geht es um die gemeinsame Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Erstellung von Lagebildern im Nahen und Mittleren Osten, aber auch gegen die organisierte Kriminalität. BND und NSA arbeiten zusammen, um die Datenströme aufzufangen und zu filtern, die durch die Bundesrepublik fluten. Obama hat verlautbart, es seien 50 Terrorwarnmeldungen für Europa aus NSA-Erkenntnissen ergangen, darunter einige an die Bundesrepublik, so jene, die das Aufspüren der Sauerlandgruppe ermöglichte. Und da nimmt man hin, dass die guten Freunde auch eigene Interessen verfolgen, die mit den Interessen der Bundesrepublik nicht konform sind. Es wird akzeptiert, dass unter Freunden so intensiv spioniert wird, als wären sie spinnefeind.

Welche Rolle spielen in diesem Drama der Bundesverfassungsschutz und das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik? Auf deren Homepages finden sich keine Kommentare zu Snowden. Das BSI gibt Tipps, wie der Bürger im Urlaub Handy und Laptop schützt, denn: »Online-Kriminelle machen keine Ferien.«
Beide Behörden haben den Auftrag der Abwehr im Innern. Ich gehe davon aus, dass sie die entsprechenden Bedrohungsanalysen fertigen. Gerade das BSI, zuständig für den Schutz der Regierungskommunikation, müsste wissen, wer Aufklärungspriorität hat und welche Techniken es gibt.

Wer hat Aufklärungspriorität?
Für die Briten und US-Amerikaner ist es die Bundesrepublik. Erstens wegen ihrer engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China wie auch ihrer größeren Nähe zu Russland. Zweitens ist die Bundesrepublik ein umtriebiger Waffenexporteur. Drittens hat Berlin die Schlüsselgewalt in der Finanzkrise. Da wollen die US-Amerikaner und Briten natürlich wissen, was in der deutschen Hauptstadt auf politischen Korridoren und hinter verschlossenen Türen besprochen wird, welche Entscheidungsprozesse im Kanzleramt ablaufen. Die Bundesrepublik ist ebenso stark im Visier der angelsächsischen Aufklärung wie die Volksrepublik China.

Was wusste Frau Merkel?
Der Kanzlerin wird man gesagt haben: »Du musst mit deinem Handy verdeckt kommunizieren, weil nicht nur die ›bösen Russen‹, sondern auch die politischen Freunde gern mithören.«

Sie spielt viel mit ihrem Handy.
Und deshalb muss es verschlüsselt sein. Das ist Aufgabe des BSI. Aber wir wissen nicht, wie weit die NSA mit ihren Entschlüsselungstechniken ist. Seit über hundert Jahren gibt es einen Wettlauf zwischen Verschlüsslern und Entschlüsslern.

Welche Enthüllungen sind für Washington fataler: von »Brave Soldier« Manning, die Assange publizierte, oder von Snowden?
Von Snowden. Weil durch ihn ein über Jahre tabuisierter Konflikt in der westlichen Gemeinschaft nun öffentlich ist. Und weil er entlarvte, dass das Versprechen der US-Regierung, die eigenen Bürger nicht abzuhören, eine Lüge ist. Die Snowden-Enthüllungen schaden Obama am meisten, weil sie sein nach außen projiziertes Bild des Bürgerrechtlers und Liberalen zerstören. Und die USA können jetzt nicht mehr andere Staaten an den Pranger stellen, da sie nun selbst an einem solchen stehen.

Vor vier Monaten haben die USA erstmals offiziell den chinesische Militärnachrichtendienst angeklagt, die »Washington Post« und »New York Times«, den US-Regierungsapparat und wichtige Industrieunternehmen gehackt zu haben. Als Snowden in Hongkong landete, waren die Chinesen kreuzfroh. Sie konnten jetzt kontern, dass da jemand mit Steinen geworfen hat, der selbst im Glashaus sitzt. Die USA können weder Moskau noch Peking wegen Cyberwarfare anprangern, weil sie da selber die Nummer Eins sind.

Folgen weitere Whistleblower?
Ich hoffe es.

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