nd-aktuell.de / 11.07.2013 / Kultur / Seite 16

Im Märchen lernst du alles noch einmal

Carmen Winter: »Der König und die Gärtnerin - Märchen für Erwachsene«

Henry-Martin Klemt

Die Liebe ist das Haus der Utopien. Ihr Land ist das Märchenland. Nicht nur Menschen und Tiere, sogar Männer und Frauen können im Märchen einander nicht nur alles sagen, sondern auch verstehen. Gewinnen im Miteinander ihr Leben, ohne sich zu verlieren. Märchenhaft die Wirklichkeit, die keine Wirklichkeit aussperren muss, die teilbar bleibt bis in die Trauer, die Verlassenheit hinein. An ihre Wände malt der Frost eisige Blumen. Durch die Fenster fällt ein Licht, das wärmt.

Carmen Winters Märchen für Erwachsene »Der König und die Gärtnerin« zeigt wunderbare Verwandlungen. Aus Nehmen wird Annehmen, aus Geben wird Vergeben, aus Liebe wird die Ewigkeit der Sterblichen.

Der König, der sich seine Gärtnerin ins Schloss holt und ihr befiehlt, ihre Vergangenheit draußen zu lassen, erscheint wie der Kleine Prinz von Exupéry, erwachsen geworden, aber nicht glücklich. Später kommt es einem vor, als sei er - die 1963 geborene Autorin ist Brandenburgerin - in der Familie Friedrichs II. aufgewachsen. Einer, dem der Vater exekutierte, was Sterben und Sterbenlassen bedeutet. Einer, der sein Päckchen geschultert hat, in dem »Regieren« nicht der schwerste Brocken ist.

Aber was dann? Vielleicht, dass man im Märchen alles noch einmal lernen muss. Das Sehen und Hören, das Aussprechen und, auch im Märchen, manchmal das Schweigen.

Die Gärtnerin scheint es einfacher zu haben. Was ihr das Leben schwer macht, macht es ihr auch leicht: der Sohn, den sie aufzog, die Arbeit, die sie verrichtet. Sie ist dem Herrn König immer ein wenig voraus, der seine Gefühle nicht versteht und doch besser auf sie horchen sollte. Im Märchen lernen die Menschen, ihre Gründe zu erkennen, zu verraten, wie es ihnen geht. So werden Irrtümer offenbar, bevor sie zur Katastrophe werden. Meistens wenigstens.

König und Gärtnerin, Schloss und Garten, Reise- und Zufluchtsorte werden bei Carmen Winter lebendig. Sie schreibt sich entlang an den Dingen, von denen sie spricht. Alles ist nah, wie auf einer Bühne. In die Gespräche der beiden fühlt der Leser sich hineingenommen, wie in einen Bund, an dem er teilhaben darf, so lange die Geschichte fließt. So erfährt er auch von der Fluchtkrankheit, an der fast alle Männer leiden und die den krank macht, der ihr nicht erliegen will. Erfährt, wie schwer es ist, lebendig zu sein, und dass schon ein wenig Weisheit zu viel auch noch im schönsten Märchen bestraft werden kann.

Denn so klein die Welt des Königs und der Gärtnerin auch erscheint - sie auf das Wesentliche zu reduzieren, heißt für die Autorin, darin Platz zu lassen für Versuchung, Verletztheit, Eifersucht, für das, was Menschen auch auf engstem Raum noch trennen kann - oder verbinden. Neben der Unschuld ist viel Platz für die Schuld, mit der einer leben und umgehen muss. Neben der Jugend, die immer Lust verheißt, ist gehöriger Platz für das Altern und für die Angst vor dem Sterben, die die Lust nicht bannen kann.

Doch das behauptete Chaos der Dinge, die herbeigelogene Unüberschaubarkeit der Verhältnisse, die erklärte Ziellosigkeit der menschlichen Existenz, das alles gerät ins Absurde, wenn die Sprache einfach wie die Dinge wird, wenn Menschen nacheinander Ausschau halten und aufeinander zugehen, um einer im anderen zu sein. Und das alles, verrät Carmen Winter in 21 Kapiteln, ist so märchenhaft nicht, dass es sich nur ersehnen ließe und nicht auch versuchen im richtigen Leben.

Carmen Winter: Der König und die Gärtnerin - Märchen für Erwachsene. Drachenmond Verlag. 140 S., geb, 14,95 €.