Karibisches Kaleidoskop

»7 Tage in Havanna« von Benicio Del Torro, Gaspar Noé und Co

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Episodenfilme haben in den letzten Jahren regelrecht Hochkonjunktur erfahren. Durch Filme wie »Tatsächlich Liebe« (2003) konnte man mit vielen, lose miteinander verbundenen Geschichten über die schönste Sache der Welt ein ähnlich großes Publikum erreichen wie seinerzeit 1965 Stanley Kramers All-Star besetztes Meisterwerk »Das Narrenschiff«. Jene Mutter aller Episodenfilme ist mit reichlich Bonusmaterial gerade auf DVD erschienen. Kurz vor der Machtübernahme der Nazis werden auf einem deutschen Linienschiff auf der Fahrt von Vera Cruz nach Bremerhaven menschliche Irrungen und Wirrungen anhand von Einzelschicksalen porträtiert. Oskar Werner, Simone Signoret, Vivien Leigh, Lee Marvin oder Heinz Rühmann veredelten mit ihrer Schauspielkunst Kramers schwimmendes Welttheater. Von solch hohem ethisch-philosophischen Anspruch wie beim »Narrenschiff« ist »7 Tage in Havanna« weit entfernt, dennoch ist der stilistisch äußerst heterogene Anthologie-Film mehr als unterhaltsam, teilweise lehrreich, ohne belehrend zu wirken - und bewegend.

Sieben Segmente, gefertigt von sieben Regisseuren, fügen sich zum Ablauf einer ganzen Woche in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Im Auftakt »El Yuma« erlebt der junge US-Amerikaner Teddy Atkins (Josh Hutcherson) eine Touristentour der besonderen Art, die ihn nächtens in die Arme einer im wahrsten Sinne des Wortes außergewöhnlichen »Frau« führt. Schauspieler Benicio Del Torro inszeniert Romanzen - augenzwinkernd, mit leichter Hand und viel Kolorit der 50er-Jahre. In »Jam Session« zeigt sich Regisseur und Gelegenheitsschauspieler Emir Kusturica von seiner komödiantischen Seite. Eigentlich soll er in Kuba einen Filmpreis empfangen, doch eine persönliche Krise und jede Menge Alkohol halten ihn davon ab. Ungeahnte Hilfe bekommt er von seinem Fahrer (Alexander Abreu), der sich als talentierter Trompeter entpuppt und Musikliebhaber Kusturica den Blues spielt. In »La tentadión de Cecilla« muss sich eine Sängerin (Melvis Estéves) zwischen ihrem armen Freund (Leonardo Benitez) und einem aalglatten Aufschneider (Daniel Brühl), der ihre eine große Karriere verspricht, entscheiden. »Diary of a Beginner« zeigt den Palästinenser E. S. (Elia Suleiman), der eine prominente kubanische Persönlichkeit interviewen soll - mit ernstem Buster-Keaton-Gesicht, auch wenn er von einer aberwitzigen Situation zur nächsten stolpert.

Die formal stärkste Episode ist »Ritual« von Regie-Enfant-Terrible Gaspar Noé (»Irréversible«, »Enter the Void«): In hypnotisch-rauschhaften Bildern soll der Schülerin Yamislaidi (Christela Herrera) mittels eines Reinigungsrituals die lesbische Beziehung zu einer Freundin (Dunia Matos) ausgetrieben werden. »Dulce Amago« beobachtet eine überforderte Mutter (Mirta Ibarra) bei der hauseigenen Produktion von Süßigkeiten. Und in »La fuente« bereiten Martha (Natalia Amore) und ihre Nachbarn eine Zeremonie zu Ehren der Jungfrau Oshun vor, die die kubanische Entsprechung der Jungfrau Maria ist. Dabei machen sie auch davor nicht halt, in Marthas Wohnung einen mit Wasser gefüllten Brunnen zu bauen. Die Überschwemmung lässt nicht lange auf sich warten.

Auch wenn mitunter kein Klischee ausgelassen und Politik nur am Rande gestreift wird, entsteht ein buntes, lebensfrohes und vor allem sinnliches Mosaik der zwischen Kommunismus und Katholizismus, Castro und Coco Cola lavierenden kubanischen Metropole. »7 Tage in Havanna«, gedreht mit einem schmalen Budget von drei Millionen Euro, steht thematisch ähnlich ausgerichteten, aber teureren Städteporträts wie »Paris, je t’aime« (2006) und »New York, I Love You« (2009) in nichts nach - und macht Lust, sich Havanna einmal persönlich anzusehen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal