Justiz in der Vertrauenskrise
Landtagsdebatte um König-Prozess: Sachsens Opposition rügt Schlamperei der Ermittlungsbehörden
Es ist der bundesweit am meisten beachtete Prozess vor einem sächsischen Gericht derzeit, und er endete am 2. Juli 2013 vorläufig und mit einem Paukenschlag: Das Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, dem die Anklage schweren Landfriedensbruch bei den Protesten gegen Nazis in Dresden am 19. Februar 2011 vorwarf, wurde ausgesetzt. Zuvor waren 200 Stunden an bislang unbekanntem Videomaterial aufgetaucht, das König offenbar zumindest in Teilen entlastet - auch zur angeblichen Überraschung der Staatsanwaltschaft. Eine unbegreifliche Schlamperei in einem so brisanten und politisch aufgeladenen Prozess, findet Klaus Bartl, Jurist und Abgeordneter der LINKEN: »Es war doch klar, dass die Anklage hier besonders genau auf Text und Noten schauen muss.«
Warum sie das nicht tat, ist eine Frage, die jetzt auch die Landespolitik beschäftigt. Auf Antrag der Grünen befasste sich am Mittwoch der Landtag in Dresden mit dem Verfahren - eine etwas heikle Angelegenheit, weil dieses noch nicht abgeschlossen ist. Aus der Koalition wurde prompt der Vorwurf laut, die Opposition wolle »Druck auf das Gericht ausüben«, sagte CDU-Mann Marko Schiemann.
Zur Person: Lothar König
Lothar König, Stadtjugendpfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde von Jena, wurde 1954 in Nordhausen geboren. Lothar ist verheiratet, hat vier Kinder und drei Enkelkinder. . Mehr
Chronologie: Vom Lautsprecherwagen ins Amtsgericht
Die Vorgeschichte des Prozesses gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Mehr
Prozesstermine & -berichte
1.Prozesstag am 04. April 2013, im Amtsgericht Dresden
2.Prozesstag am 24. April 2013, im Amtsgericht Dresden
3.Prozesstag am 13. Mai 2013, im Amtsgericht Dresden
4.Prozesstag am 28. Mai 2013, im Amtsgericht Dresden
5.Prozesstag am 29. Mai 2013, im Amtsgericht Dresden
6.Prozesstag am 30. Mai 2013 im Amtsgericht Dresden
Beginn: jeweils 9.00 Uhr
Der Prozess in den Medien
Liveticker der Soligruppe der JG-Stadtmitte zum Prozess
Tweets zum Thema Prozess gegen Lothar König unter dem Hashtag #lothardd
Videos über die Arbeit von Lothar König
Die Jenaer Junge Gemeinde Stadtmitte auf Twitter
Facebook-Gruppe: Solidarität mit Lothar König
Nicht die Avantgarde des Rechtsstaates: Sachsens Justiz hat sich ihren schlechten Ruf redlich verdient
Woher rührt der Ruf von Einäugigkeit und Regierungsnähe der sächsischen Justiz? Auf jeden Fall nicht nur von dem Prozess gegen den Pfarrer Lothar König, der am Dienstag fortgeführt wird. Mehr
Der rebellische König: Sachsens Justiz eröffnet zweifelhaften Prozess gegen Jenaer Stadtjugendpfarrer
Vor dem Amtsgericht Dresden sollte am 19.03.2013 der Prozess gegen Jenas Stadtjugendpfarrer Lothar König beginnen. Dem 59-Jährigen wird Landfriedensbruch vorgeworfen. Doch der Start verlief holprig: Die Auftaktverhandlung wurde kurzfristig abgesagt. Mehr
Anerkennung statt Strafandrohung: David Bergrich über den Prozess gegen Pfarrer Lothar König
Der evangelische Theologe und Sozialwissenschaftler David Bergrich ist Mitarbeiter des Vereins Miteinander e.V. in Magdeburg. Er meint, dass es im Angesicht des NSU-Terrors und der mehr als 150 seit der Wiedervereinigung durch Neonazis zu Tode gekommenen Menschen an der Zeit ist, jenen Anerkennung zu zollen, die sich Neonazis friedlich und konsequent in den Weg stellen. Mehr
Politischer Schaden für Mitteldeutschland
Nach der Razzia gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König hat sich Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter in einem offenen Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU), den nd dokumentiert.
Der Stachel: Warum der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König gegen Gewalt ist
Jena, Mitte Januar, Büro der Jungen Gemeinde Stadtmitte. Jugendpfarrer Lothar König ist anwesend und abwesend zugleich. Momente, in denen er sich auf Ort und Zeit und Verabredung besinnt, müssen eingefordert werden, hartnäckig. Mehr
Der Opposition aber ging es um eine andere Frage, nämlich die, ob die augenscheinliche Schlamperei der Ankläger tiefer liegende Gründe hat. Bartl verwies darauf, dass auch in Verfahren rund um den so genannten »Sachsen-Sumpf« wiederholt lückenhaftes Material zur Anklage gelangte und Beweisstücke fehlten. Es stehe der Verdacht im Raum, dass es »Prinzip hat, dass man bestimmte Aktenteile nicht vorlegt«, sagte er. Der Grüne Johannes Lichdi ergänzte, König sei »zwei Jahre wie ein Schwerverbrecher behandelt worden« - und das, weil »offensichtlich nur belastende und nicht auch entlastende Beweise« berücksichtigt worden seien.
Der unterschwellige Vorwurf lautet, dass damit eine politische Intention verbunden ist. Zwar betonten mehrere Redner, dass sie keine direkte Einflussnahme von Seiten der Regierung unterstellen. Henning Homann (SPD) sprach jedoch von einem »politischen Klima, das derlei Fehler herausgefordert hat«. 2011 hatten völlig unzureichende Polizeikräfte eine strikte Trennung der 12 000 Gegendemonstranten von den Nazis durchsetzen sollen; daneben wurden massenhaft Handydaten abgefragt, um tatsächliche und vermeintliche Gewalttäter ausfindig zu machen - teilweise rechtswidrig, wie inzwischen klar ist. Vor allem die Koalition stellte im Anschluss immer wieder die gewaltsamen Zwischenfälle in den Mittelpunkt der Debatte.
Justizminister Jürgen Martens (FDP) ging auf die konkreten Vorwürfe nicht ein und erklärte lediglich, die Frage etwaiger einseitiger Ermittlungen werde zu klären sein - zunächst freilich vom Gericht und erst danach in einer »kritischen Würdigung« auch von der Politik. Ein Bericht, den er bereits jetzt bei der für die Anklage zuständigen Staatsanwaltschaft Dresden angefordert habe, diene lediglich der Beantwortung von Fragen im Rechtsausschuss. Martens warf der Opposition vor, sie hege ihrerseits den »Wunsch nach politischer Justiz«, was der Grüne Lichdi bösartig nannte.
Lichdi und andere Oppositionspolitiker verwiesen auf ein anderes Problem. Im Prozess gegen König sorgten findige Anwälte und Videos von dessen Unterstützern für die Wende. Andere Angeklagte haben derlei Mittel nicht zur Verfügung und würden allein aufgrund der Anklagebeweise verurteilt, deren Vollständigkeit aber offenbar nicht garantiert sei. Ergebnis, sagt Lichdi, sei eine »ausgewachsene Vertrauenskrise gegenüber der sächsischen Justiz«.
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