nd-aktuell.de / 16.07.2013 / / Seite 17

Welche Methode ist die beste?

Parkinsonkranke tauschen ihre Erfahrungen über das Internet aus

Roland Bunzenthal
In Internetforen diskutieren Parkinsonkranke die Qualität ihrer Behandlung und geben so den Betroffenen wertvolle Hinweise. Spenden der Pharmaindustrie werden abgelehnt.

»Ich fühle mich gut eingestellt! - sprechen geht wieder, bin beweglich, duschen im Stehen kein Problem mehr, nur das Gehen «geht» nach wie vor relativ schlecht.« So beschreibt ein Parkinson-Patient im Forum der Internet-Selbsthilfe-Organisation Parkinsonline (PAoL) seine Erfahrung mit einem Hirnschrittmacher. Andere Schreiber sind skeptischer: »Und nie vergessen, zäh und zielgerichtet auf eine gute Einstellung hinarbeiten«, kommentiert einer die notwendige Nachbetreuung nach der Operation.

Der Hirnschrittmacher ist eines der teuersten Kleingeräte im Gesundheitswesen. Wegen seiner technischen Komplexität hätten »viele Ärzte Probleme mit der Einstellung des Hirnschrittmachers«, ergänzt ein anderes PAoL-Mitglied, »es fehlen noch Erfahrungswerte«. Deswegen sei es gut, sich von verschiedenen Ärzten einstellen zu lassen. »Was der eine nicht kennt, weiß vielleicht ein anderer.«

Vor 24 Jahren wurde erstmals ein solcher Eingriff in den empfindlichsten Teil des Menschen, sein Gehirn, gewagt. Seither haben weltweit rund 50 000 Betroffene der chronischen Nervenkrankheit Parkinson diesen Schritt riskiert. Mit unterschiedlichem Erfolg. Anfangs überwogen die experimentellen Neigungen der medizin-technischen Pioniere. Fehler gingen oft zu Lasten der Patienten. Nachdem sich Routine einstellte, treten immer mehr Neulinge in dieses Markt-Segment der Chirurgie ein. Es lockt sie die üppige Fallpauschale. Eine Operation bringt dem behandelnden Arzt zwischen 20 000 und 25 000 Euro. Eine ausführliche Nachbetreuung ist eingeschlossen, wird aber gern den Reha-Kliniken zugeschoben.

Eine Viertelmillion Parkinsonkranke ließen die Operation bereits machen; die Zahl dürfte rasch steigen. Vor 40 Jahren war für die Behandlung allenfalls ein Zehntel dieses Betrages fällig. Bis dahin bestand die gängige Therapie aus dem Medikament L-Dopa - das ist eine Vorstufe des Nervenbotenstoffes Dopamin, der vom Gehirn bei dieser Krankheitimmer reduzierter hergestellt wird.

Anfang der siebziger Jahre kamen dann die so genannten Agonisten auf den Markt - Mittel , die die gleiche Symptomlinderung bewirken sollten, ohne jedoch die mit L-Dopa verbundenen Nebenwirkungen wie zum Beispiel Überbewegungen. Das ließen sich die Pharmakonzerne teuer bezahlen, obwohl auch die Agonisten keineswegs Heilung versprachen. Der kleine Fortschritt war dank des Patentschutzes nur zu Monopolpreisen erhältlich. Eine Packung des patentfreien L-Dopa kostet zwischen 50 und 100 Euro, bei den heutigen Agonisten darf man getrost eine Null dranhängen.

Die meisten Neurologen verordnen - beeinflusst durch Hersteller - möglichst lange die teuren Agonisten. Erst wenn diese ausgereizt sind, steht das billige L-Dopa auf den Rezepten. Geht auch hier therapeutisch nichts mehr, kommt seit den 90-er Jahren die Tiefenhirn-Stimulation (THS) infrage. Elektrische Impulse sollen die Nervenboten ersetzen. Nach wie vor ist das Risiko groß, dass bei der Operation andere Teile des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen werden und Sprachstörungen, Depressionen oder Gleichgewichtsprobleme auftreten. In dieser Situation kommt der Selbsthilfe eine marktregulierende Funktion zu - insbesondere, wenn der Informationsaustausch so intensiv verläuft wie bei den Freaks von PAoL. Im Chat, Mitgliederforum, in Ratgebern auf der Homepage sowie bei Regionaltreffen wird intensiv über Vor- und Nachteile einzelner Therapien diskutiert. Für die User trennt sich bei Medikamenten, Kliniken und THS-Ärzten die Spreu vom Weizen. Die Optimierung der Therapien kommt sowohl Patienten als auch Krankenkassen zugute.

Eine Gefahr aber sehen auch die rund 700 PAoL-Mitglieder: die Vereinnahmung durch die Anbieter am Gesundheitsmarkt. Deshalb sieht die PAoL-Satzung ausdrücklich vor, jegliche Spenden aus der Pharmabranche abzulehnen. Anders übrigens als die wesentlich größere Deutsche Parkinsonvereinigung: Sie lässt sich unter anderem ihre Mitgliederzeitschrift von Pharmafirmen finanzieren.

Insgesamt besteht die rasch wachsende Selbsthilfebewegung hierzulande aus etwa 100 überregionalen und etwa 50 000 lokalen Gruppen. Ihnen gemeinsam ist die kollektive Bewältigung psychischer Probleme, die meist nach der ersten Diagnose einer chronischen Krankheit auftreten. Gleichzeitig wächst das Selbstbewusstsein der organisierten Patienten, die zwischen kostspieliger Scharlatanerie und hoffnungsvollen Neuansätzen unterscheiden lernen. Was nutzt wem? Die Antwort darauf bildet ein zunehmendes Gegengewicht gegen die Deutungshoheit der profitorientierten Akteure am Gesundheitsmarkt.