nd-aktuell.de / 16.07.2013 / Brandenburg / Seite 3

Die Stadt, der Bau, das Geld

Kanzler-U-Bahn, Airport BER, Wasserverträge - wenn die öffentliche Hand zahlt, wird Kapital kreativ. Ein Stadtspaziergang in Berlin

Peter Richter
Dienstleistungen für Bürger werden von der Privatwirtschaft immer mehr als lukratives Feld fürs Geldverdienen entdeckt. Ob man nun eigentlich unnütze Prestigevorhaben wärmstes befürwortet, um lukrative Aufträge zu ergattern, Großprojekte bewusst überzogen plant, die wahren Kosten verschleiert und möglichst viel aus der Realisierung herausholt oder beim fertigen Objekt die Privatisierung mit vertraglich gesicherter Profitgarantie schmackhaft macht - alle diese Geschäftsmodelle kann man derzeit in Berlin studieren.

Kanzlers teures Spielzeug

Als jemand einst die Idee hatte, zwischen dem neuen Hauptbahnhof und dem Alexanderplatz im Osten der Hauptstadt eine U-Bahn zu bauen und diese werbewirksam »Kanzlerbahn« zu nennen, war das schon die halbe Miete. Einen besonderen Bedarf dafür gab es nicht, verläuft doch keine 500 Meter entfernt eine Parallelstrecke der S-Bahn. Aber Helmut Kohl wollte unbedingt die »Kanzlerbahn«, und später erwärmte sich auch Gerhard Schröder für das imagefördernde Spielzeug, obwohl die prognostizierten Fahrgastzahlen - anfangs 200 000, jetzt 155 000 pro Tag - bereits damals stark bezweifelt wurden. Tatsächlich nutzen das 2009 fertiggestellte Teilstück zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor täglich nur 8000.

Doch alle Zweifel wurden mit einem apodiktischen »Die Politik hat die Freiheit, so etwas zu beschließen!« und der Drohung erstickt, schon gezahlte Gelder vom Berliner Senat zurückzufordern. 565 Millionen Euro sind für die knapp vier Kilometer lange Metrostrecke veranschlagt, was ihr schon heute den Superlativ »teuerste U-Bahn der Welt« einbringt. Experten befürchten, am Ende könnten die Kosten bis zu 750 Millionen betragen.

Damit man nicht darüber spricht, wird der Bau zum »Event« aufgeblasen. Selbst die Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe BVG, Sigrid Nikutta, die noch vor Jahresfrist meinte: »Wir als BVG hätten die Linie nicht gebraucht. Wir hätten das Geld lieber in die Instandhaltung der bestehenden U-Bahnen gesteckt«, findet heute: »Eine Baustelle dieser Dimension mitten in Berlin, das wird eine Attraktion.« Da liegen, finden sich Interessierte, zum Beispiel bei einer vom Verein »Helle Panke« veranstalteten Exkursion durch die Berliner Infrastruktur-Landschaft zusammen, orangefarbene Signalwesten und Bauhelme bereit. Ein gut gelaunter Bauleiter empfängt die Neugierigen an der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden. Zwar vermag er sie nicht in den Untergrund zu führen, aber wenigstens zur Glaswand, durch die man hinabblicken und einen kleinen Bagger emsig das Erdreich ausheben sehen kann. Dann weiter vorbei an Kränen, Maschinen, Containern, die den Mittelstreifen blockieren, zum Schlossplatz, wo inzwischen »Bärlinde« am Werk ist, jener gewaltige Bohrer, der in zwanzig Meter Tiefe die Tunnelröhren zur künftigen Station »Berliner Rathaus« freilegen und zugleich ausbetonieren soll.

Für den Bauleiter zählt allein die ingenieurtechnische Leistung, die er wohl zu Recht stolz präsentiert, mit Zahlen, Fakten und blitzenden Augen; später werden zu Lichtbildern auch Schnittchen und Saft gereicht. Natürlich seien unerwartete Hindernisse nicht ausgeschlossen, denn »vor der Hacke ist es dunkel«, weiß der Bauleiter. Und natürlich kann man die zusätzlichen Kosten abschätzen. »Doch was man darüber sagt, hängt konkret davon ab, mit wem man spricht und was er hören will.« Beim U-Bahn-Abschnitt zum Brandenburger Tor war der Hochtief-Konzern für den dortigen Bahnhof zum Zuge gekommen und hatte den Kostenrahmen von 28 Millionen Euro um 22,5 (!) Millionen überschritten, wegen »unvorhergesehener Probleme«. Die BVG zahlte zwar nur knapp zwölf Millionen mehr, aber auch das sind über 40 Prozent Kostensteigerung für die öffentliche Hand.

Die Kuh ohne Propeller

Während bei der U-Bahn der Baustellentourismus an natürliche Grenzen stößt, ist er beim Willy-Brandt-Airport das einzige Geschäftsfeld, das Geld einbringt. Denn wo kann man schon mal einen nagelneuen Großflughafen ganz so wie ein modernes Industriemuseum befahren und begehen. Ein Bus bringt die Interessenten durch das ein wenig gespenstische, weil menschenleere und doch startbereit wirkende Gelände. Gegenüber der Glasfront des geschlossenen Terminals die Airport City, mit Gastronomie, Geschäften, Hotels, Dienstleistungen tatsächlich eine kleine Stadt für sich, derzeit allerdings tot wie Pompeji nach dem Vulkanausbruch. Hier befindet sich auch - wie in jeder bedeutenden Sehenswürdigkeit - ein »Besucherzentrum« mit einem »breiten Informations- und Unterhaltungsspektrum«. Überwältigend vor allem der »Außenbereich«, denn der Bus befährt kreuz und quer das fast 1000 Hektar große Gelände, hält mitten auf dem verwaisten Flugfeld. Man kann aussteigen und nach Herzenslust das Areal fotografieren - samt Terminal, aus dem die Passagierbrücken, an denen einmal Flugzeuge andocken sollen, wie Krakenarme herausragen. Zehn Euro kostet das Spektakel den Besucher, Kinder zahlen die Hälfte und können, schon ab drei Jahre, sogar ein eigenes Programm - mit Eis oder Kakao als Höhepunkt - buchen. Auch Radfahrer haben die Möglichkeit, den Flughafen in zweistündiger Tour zu erkunden - für 15 Euro einschließlich Lunchpaket.

Die Ausgaben sind von anderem Kaliber. Zwei Milliarden sollte der Flughafen ursprünglich kosten, bei 4,3 Milliarden ist man inzwischen angekommen. Und eine Ende der Fahnenstange ist nicht in Sicht. Täglich verschlingt der Unterhalt des schweigenden Kolosses 20 Millionen Euro, zuzüglich 14 Millionen, die durch den Stillstand an Einnahmen entgehen. Eine Entwicklung, die man voraussehen konnte, denn allzu viele Akteure waren offensichtlich mit dem Ziel unterwegs, die Staatsfinanzen als zu melkende Kuh für das Flugwesen zu betrachten. Hatte im sowjetischen Dorf der Agitator Kossonossow die Bauern noch mit der Kuh im Propeller erschreckt: »Ritsch, ratsch, weg war sie!«, braucht es heute weder Propeller noch gar Düsenantrieb für ein ähnliches Resultat, nur dass der Steuerzahler das Milchvieh zuverlässig am Leben - und Geben! - hält.

Denn verdiente man erst am unkoordinierten Bauen, setzt man das jetzt am Stillstand fort. Auch heute bevölkern wohl noch immer weniger Bauarbeiter das Flughafengelände als Touristen. Untätig waren die Firmen nicht, wie der auf Bau- und Immobilienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Ralf Leinemann unlängst der »Berliner Zeitung« verriet: »Die Bauunternehmen haben die Zeit genutzt und seit Mai 2012 viele offene Forderungen verhandelt, die die Flughafen auch bezahlt hat.« Jetzt profitieren Energiebetriebe, Reinigungs- und Sicherheitsfirmen sowie zahlreiche Unternehmen für technische Wartung und Instandhaltung von der Auszeit. »Die öffentliche Hand hat die Steuerzahler hinter sich«, resümiert Jutta Matuschek, die für die Linkspartei im Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zum BER-Debakel sitzt. »Da glaubt mancher, sie könne noch etwas drauflegen.«

Das Wunder von Friedrichshagen

Der Glaube an die Unerschöpflichkeit öffentlicher Mittel endet keineswegs mit dem Abschluss des Investitionsvorhabens. Was Profit abzuwerfen verspricht, weckt stets Begehrlichkeiten bei der Privatwirtschaft. So auch bei RWE und dem französischen Konzern Veolia, die Ende der 1990er Jahre den ewig klammen Berliner Senat mit einer hübschen Kaufsumme zur Teilprivatisierung der städtischen Wasserwerke verlockten und zumindest das Marketing verstehen.

Denn wer sich durch das schmucke Gebäude in Friedrichs-hagen führen lässt, steht am Ende in einer hellen, stets frisch gewischten Halle und sieht, wie ein dünner Wasserstrahl aus spiegelblankem Hahn in einen großen Trichter fließt, wie man ihn vielleicht vom Urologen her kennt. Ein Plastikbecher steht bereit, man kann vom köstlichen Nass probieren, das die Erde unter Berlin und seinem Umland hergibt. Es ist beinahe unbehandeltes Wasser, nur von Eisen und Mangan befreit, die ihm, sobald es an die Oberfläche tritt, eine braune Färbung geben würden, die zwar gesundheitlich unbedenklich und geschmacksneutral ist, vom Verbraucher aber nicht gewünscht wird.

All das geschieht in blitzenden, an machen Stellen frisch lackierten Maschinen, in einem klinisch reinen Ambiente, das die Wasserbetriebe gern herzeigen. Auch hier kann man Besichtigungen buchen, und im Sommer kommen die Wasserbetriebe mit einem Infobus auf Berliner Sommerfeste, um ihr »leckeres und gesundes Wasser« anzubieten. In derartiger Werbung scheint Wasser förmlich zu Wein zu werden, doch solch von der Hochzeit zu Kana berichtetes Jesuswunder haben RWE und Veolia allenfalls auf ihrer eigenen Vermählung mit dem Senat vollbracht, indem sie sich im geheimen Ehevertrag eine Gewinngarantie absegnen ließen, die seither zu einer Steigerung der Wasserpreise um 35 Prozent führte. Wie sehr auch immer die Verbraucher Wasser sparten, sie mussten ständig mehr zahlen, weil die Gebühren erhöht wurden, um den Wundertätern von Friedrichshagen ihren Profit zu sichern.

Das Gewinnstreben der Privatfirmen führte nach Aussagen von Ulrike von Wiesenau vom »Berliner Wassertisch« außerdem zu beträchtlichen Qualitätseinbußen: »Drei Wasserwerke wurden geschlossen und der Personalbestand der Berliner Wasserbetriebe wurde massiv abgebaut. Aufgaben der Nachhaltigkeit wie Netzrehabilitation, Energieeffizienz und Reinigungsqualität werden nur unzureichend angegangen. Die Investitionen bleiben hinter dem zurück, was von den Wasserkunden dafür bezahlt wird.«

Inzwischen mussten nach einem Volksentscheid die Wasserverträge offen gelegt werden, und der Senat hat den Rückkauf der privaten Anteile eingeleitet. RWE hat bereits 618 Millionen erhalten; Veolia wird wahrscheinlich mehr verlangen, so dass das Wasser für die Kunden noch lange seinen bitteren Nachgeschmack behält, während auch hier die beiden Konzerne für sich das Wunder zur Wirklichkeit werden ließen.