Stimmen stinken nicht

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Regierung und Parlament sind in Urlaub und geben der Frage Raum, wie wichtig sie für das Leben der anderen überhaupt sind. Sinnvoll für die Regierten wäre es deshalb, sich im Sommerloch die Techniken bewusst zu machen, mit deren Hilfe die Obrigkeit im nahenden Wahlkampf widersprüchlichste Lagen ins schönste Licht tauchen wird. Wobei sie sich selbst bei der großen Gesundschreibung keineswegs ausnimmt. Im Gegenteil.

Technik Nummer eins in diesem Geschäft der Halbwahrheiten und Totschlagargumente lautet schlicht: Woanders sieht es viel schlimmer aus. Und da, Damen und Herren, müssen Sie gar nicht nach Bangladesch oder Mosambik blicken. Auch im Euroraum häuft man Schatten auf Schatten, wie der Dichter sagt. Obwohl Dichterworte hier nicht so recht passen. Denn Wahlkampf ist unpoetisch. Man denkt und spricht großwortig. Zwischentöne stören, es muss schnell hin zum positiven Denken gehen, dem Unpoetischsten überhaupt.

Zugegeben also, dass es Abgründe vor Portugal, Spanien und Italien gibt; Griechenland und Zypern sind de facto bereits darin verschwunden. Aber steht Deutschland nicht unbeirrt auf seiner Kommandohöhe? Einfach überragend. Und trotzdem gänzlich unschuldig an den Verwüstungen rundum. Am Zuschnitt der Wählerinnen und Wähler, die Letzteres zweifelsfrei hinnehmen, haben Merkel, Schäuble und Co. lange gearbeitet, darin besteht ihr eigentlicher Erfolg. Aber das sagen sie natürlich so nicht. Denn wäre es dann nicht logisch, dass einige Staaten das schöne Gefechtsfeld Euroraum verlassen, da sie sich deutscher Führungskraft nicht gewachsen zeigen? Das lieber nicht. Schließlich sollen beispielsweise die vielen Waffen bezahlt werden, die aus Deutschland an Griechenland gegangen sind und an andere malade Staaten im Süden Europas. Wo das Ganze einmal endet, wissen die Regierenden zwar selbst nicht. Doch im Wahlkampf sind Ungewissheiten erst recht verboten.

Technik Nummer zwei ist ebenfalls Karo einfach: Wenn Missstände eingeräumt werden müssen, trägt die heutige Opposition die Verantwortung. So bei der Sache mit den Drohnen: Über eine halbe Milliarde Euro versenkt, bis das Projekt nur noch abgeklingelt werden konnte. Schuld daran soll nun zuvorderst Rot-Grün sein, weil es vor rund zehn Jahren Anschaffung und Finanzierungsrahmen beschloss. Auch diese durchsichtige Argumentation setzt ein Wahlvolk voraus, das nicht aus mündigen Bürgern, sondern aus Dödeln und Dödelinnen besteht, unvertraut mit den einfachsten politischen Mechanismen. Solche Menschen gibt es. Aber was soll man von Parteien halten, die anbiedernd auf sie abheben? Wählerstimmen stinken eben nicht.

Technik Nummer drei ist die allerbilligste: Lobe dich selbst, bis die Balken sich biegen. In dieser Hinsicht hantiert die Kanzlerin vorbildlich jenseits aller Schamgrenzen. Maßstäbe setzend bezeichnete sie ihr Kabinett als beste aller Bundesregierungen seit der Wiedervereinigung. Zu dieser Sicht gehört ein Zustand kurz vor der eigenen Seligsprechung und der Wiedereinführung der Majestätsbeleidigung. Warum wählen, wenn wir schon die beste Regierung haben? Nur musste immerhin ein Viertel der 16 Minister aus unehrenhaften Gründen das Weite suchen: Franz-Josef Jung, keiner erinnert sich, Karl Theodor zu Guttenberg, Norbert Röttgen und Annette Schavan. Eigentlich hätte wegen der Drohnen auch Thomas de Maizière den Abgang wählen sollen, was die fast Selige aber nicht wollte. Denn mit dem Leistungsprinzip hat Wahlkampf schon mal gar nichts zu tun.

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