Stunk ums Opernklo

In Hannover streitet man um einen Toilettenbau

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit über drei Jahren wird in Niedersachsens Hauptstadt Hannover um eine öffentliche Bedürfnisanstalt gerungen. Am Opernhaus soll sie stehen, verlangen die Befürworter. Ein Klo passt nicht in die vornehme Umgebung des Kulturpalastes, schimpfen Gegner.

In die Spießigkeit eines fiktiven Städtchens entführt der Autor Gabriel Chevallier die Leser seiner Novelle »Clochemerle«, die 1970 im Fernsehen reüssierte. Im Mittelpunkt steht ein Pissoir. Der Bürgermeister will es aufstellen, doch es hagelt Protest, denn: Das Urinal, dem Alt-Berliner Modell »Café Achteck« ähnelnd, soll genau gegenüber der Kirche stehen. Quel scandale!

Eine Posse aus der Provinz. Doch nicht dort sollte sie zur Realität werden, sondern - in ähnlicher Weise - in einer Landeshauptstadt: in Hannover. Noch immer schwelt dort der Streit um ein Klo. Für den repräsentativen Platz am Opernhaus wünschen es sich SPD und Grüne, die im Rat der niedersächsischen Stadt die Mehrheit haben. Gegen den Lokus an solch weihevollem Ort wettern die Opposition und auch Anlieger. Der Hickhack um die Toilette zieht sich in die Länge wie ein Wagnersches Singspiel.

»Urinieren und mehr«

Vorhang auf: Eine Toilette muss auf den Opernplatz, beschloss die Ratsmehrheit bereits im Jahr 2010. Im Jahr davor hatte die Stadt das Areal zwischen Rathenaustraße und Georgstraße für 1,3 Millionen Euro herausgeputzt. Die Begründung für den Pissoir-Beschluss im Folgejahr: »Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen« sorgten am Opernhaus für Ärgernis »durch Urinieren und mehr«. Auf dem gepflegten Areal halten sich gern junge Menschen auf, die ihren eigenen Lebensstil pflegen, Punks etwa und auch trinkfreudige Zeitgenossen.

Gesagt, getan. Die Stadt kauft ein 90 000 Euro teures Fertigklo, ein modernes, rundliches Gebilde. Erleichtert hat sich darin noch niemand. Das Häuschen ist auf einem Klärwerkgelände zwischengelagert, darf bislang nicht aufgestellt werden, denn: Protest ist aufgeflammt, unter anderem von Inhabern eleganter Läden. Ein Klosett am Opernhaus? Im Umfeld des klassizistischen Prachtbaus? Nahe der Denkmäler berühmter Hannoveraner? Gegenüber der vornehmen Georgstraße mit ihren Edelboutiquen? Igitt!

Die SPD sieht›s pragmatisch: Der Platz werde von vielen Menschen genutzt, und um wildes Pullern zu verhindern, müsse dort ein Lokus hin. Aus der FDP heißt es: Würde die Stadt Toiletten für jede Kleingruppe bauen, welche die Natur zum Wasserlassen nutzt, dann sei Hannover auf dem besten Weg zur »Klo-Hauptstadt Deutschlands«. Nicht per Pissoir, sondern mit Hilfe der Ordnungsmacht will die CDU das Problem lösen. Sie ruft nach dem Büttel, rät zum Einsatz von Rangern gegen die Wildpinkler.

Der Denkmalschutz runzelt ebenfalls die Stirn, meint, das Klo wäre »ein Fremdkörper« im Platz-Ensemble. Übellaunig wird auch die Leitung des Opernhauses, als sie erfährt: Das Klo soll nahe den Fenstern des Intendanzbüros aufgestellt werden. Ein anderer Standort wird gefunden, doch nun protestiert die Jüdische Gemeinde: zu nah am Holocaust-Mahnmal! Es war im Jahr 1994 am Opernhaus errichtet worden. Auch Hannovers Börse, unweit der Oper, will den Lokus nicht vor ihrem denkmalgeschützten Kapitaltempel haben.

Rat kontra Verwaltung

Die Stadtverwaltung hat die Nase voll. Sie verkündet vor zwei Wochen: Es gibt nahe der Oper keinen Standort, der von den Nachbarn akzeptiert wird. Aus, Ende - vor dem Opernklo fällt der Vorhang.

Denkste! Die Stadtbediensteten haben nicht mit der Hartnäckigkeit der Politik gerechnet. Unmittelbar nach der Klo-Absage aus dem Rathaus tönen Rot und Grün: Die Toilette muss auf den Opernplatz! Die Ratsmehrheit will sie nun gegen das Nein der Verwaltung durchsetzen.

Zurzeit wird auf der Opernklo-Bühne ein Vorschlag erörtert, den die Eigentümerin des Börsen-Hauses vor wenigen Tagen unterbreitet hat. Stadtverwaltung, Geschäftswelt, Politik und Denkmalschutz sollen an einem runden Tisch über die Toilette diskutieren.

Vielleicht gibt’s eine Einigung, wie sie auch im zitierten französischen Romanstädtchen zustande kam. Fraglich ist allerdings, ob Hannovers Stadtväter das Pinkolatorium nach dem Ritus einweihen, mit dem dies im Film »Clochemerle« geschieht: Honoratioren des Kaffs, darunter der Bürgermeister, lassen im Pissoir ihrer Freude über das durchgesetzte Projekt buchstäblich freien Lauf.

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