nd-aktuell.de / 17.07.2013 / Gesund leben / Seite 2

Schutz vor Masern durch Aufklärung

Tobias Tenenbaum hält eine Pflicht zur Impfung für schwer durchsetzbar

166 Fälle von Masern wurden im vergangenen Jahr in Deutschland gezählt, bis zum 17. Juni 2013 meldete das Robert-Koch-Institut bereits 905 Erkrankungen. Masern können folgenschwer sein, sogar tödlich verlaufen. Die Sorge um eine wachsende Bedrohung durch die Infektion mit dem Masernvirus ist also verständlich. Ob man ihr allerdings durch die Einführung einer Pflicht zur Impfung wirksam begegnen kann, bleibt unter Gesundheitspolitikern und Fachleuten umstritten.

nd: In diesem Jahr wurden bereits mehr als 900 Masernfälle gemeldet, die meisten davon in Bayern und Berlin. Muss man sich Sorgen machen?
Tenenbaum: Masern sind grundsätzlich gefährlich, weil sie die Gefahr von Komplikationen wie Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen oder Gehirnentzündungen mit sich bringen. Eine besonders schwere Form der Gehirnentzündung, kurz SSP, führt unweigerlich zum Tod.

Sind Komplikationen dieser Art jetzt schon aufgetreten?
Aktuelle Zahlen fehlen noch. Beim letzten großen Masernausbruch 2006 in Nordrhein-Westfalen gab es unter den knapp 2000 Erkrankten drei Fälle von Gehirnentzündung.

Worin sehen Sie die Ursachen für die Ausbreitung?
Zu Masernausbrüchen kommt es in den Hochburgen der Impfskeptiker oder Impfgegner oder dort, wo die zweite Masernimpfung vielfach nicht erfolgte. Man weiß heute, dass zwei Masernimpfungen effektiver vor der Erkrankung schützen. Die Empfehlung existiert seit über zehn Jahren. Dennoch findet sie in zehn Prozent der Fälle nicht statt, weil man sie vergaß oder aus anderen Gründen. Für einen hundertprozentigen Schutz in der Bevölkerung ist aber eine Durchimpfungsrate von über 95 Prozent bis 98 Prozent erforderlich.

Wo liegen wir momentan?
Für die erste Impfung liegen wir ganz gut - bei 95 bis 98 Prozent, je nach Region. Bei der zweiten sind es 85 bis 90 Prozent.

Das hört sich nicht nach Impfmüdigkeit an.
Die Bereitschaft zum Impfen ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden, wozu u.a. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Robert-Koch-Institut einen wesentlichen Beitrag leisteten. Ich arbeite ebenfalls in einer Gruppe, die ein Aufklärungsprogramm für Eltern kreiert.

Würden Sie eine Impfpflicht befürworten?
Die wird schwierig zu implementieren sein und vermutlich an der praktischen Umsetzung scheitern. Wer will das kontrollieren und welche Restriktionsmaßnahmen sollen denn greifen, wenn jemand nicht geimpft wird? Soll ein Kind, das nicht gegen Masern geimpft ist, wirklich nicht in die Schule gelassen werden?

Kann auch ein Erwachsener noch Masern bekommen?
Ja. Eigentlich schützt die überstandene Erkrankung vor Reinfektion, es ist nur nicht immer sicher, ob man wirklich die Masern durchgemacht hat. Die Angaben der Eltern oder Großeltern stimmen nicht in jedem Fall.

Wie sind die Anzeichen?
Sie ähneln anfangs denen einer Grippe. In einem zweiten Gipfel manifestiert sich Ausschlag, an dem die Masern zu erkennen sind.

Ist das WHO-Ziel, die Krankheit bis 2015 auszurotten, realistisch?
Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Man wird auf der Seite der Impfskeptiker wahrscheinlich nicht alle überzeugen können.

Die Skepsis dürfte durch Ungereimtheiten beim Grippe-Impfstoff verstärkt worden sein.
Das ist richtig. Das Problem ist aber komplex. Hier hilft nur eine sachliche Aufklärung.

Sind Ihnen Masern-Impfschäden bekannt?
Ich kenne keine konkreten Fälle.

Und Masern-Partys, auf die Eltern Kinder schicken, damit sie sich anstecken und immunisieren?
Sind absolut gefährlich. Für die Kinder und deren Umwelt.

Interview: Silvia Ottow