Kein Wissen ist auch keine Lösung

Unionspolitiker zutiefst getroffen von Freundschaft nach Art der NSA

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Keine Zeit für Urlaub, wenn man Bundestagsabgeordneter und für Inneres zuständig ist. Am Dienstag tagte das Parlamentarische Kontrollgremium und heute der Innenausschuss. Thema: NSA-Spitzeleien in Deutschland.

Welche Daten zapfen US-Geheimdienste in Deutschland ab? Was speichern sie wie lange? Wie werten sie den Datenverkehr aus? Wer ist Nutznießer der Aktionen? Wie viele Terroranschläge wurden so verhindert? Viele Fragen prasseln derzeit auf den Bundesinnenminister ein. Doch Hans-Peter Friedrich (CSU) macht glaubhaft, dass er keine Ahnung hat. Er habe bei seinem jüngsten USA-Besuch »einiges an Informationen« darüber erhalten, was der Geheimdienst NSA an Daten sammele. Mehr bekam man beim ARD-Morgenmagazin am Dienstag nicht aus ihm heraus.

Doch selbst Sicherheitsexperten - zu denen der Bundesinnenminister ja nun wahrlich nicht zu zählen ist - sind offenbar auf Mutmaßungen über die US-amerikanischen und die (leider fast in Vergessenheit geratenen) britischen Spionageprogramme angewiesen. Beide sollen gigantisch sein.

Schon Kisch wusste: Die Amis spionieren

Die Kanzlerin hat erklärt, sie habe von der US-amerikanischen Spionage in Deutschland erst durch die Snowden-Enthüllungen erfahren. Da möchte man ihr doch mit Hilfe einer weit verbreiteten Publikation etwas nachhelfen. Sogar »Bild« hat jüngst in Zusammenarbeit mit der Aktion »Vorsicht Buch!« den 80. Jahrestag der Bücherverbrennung zum Anlass genommen, eine »Bibliothek der verbotenen Bücher« mit einer »Auswahl der größten Literaturklassiker« herauszugeben.   

Unter den zehn Autoren befindet sich Egon Erwin Kisch (1885 - 1948) mit seinem »Paradies Amerika«. In den 41 Reportagen, Erlebnisberichten, Interviews und anderen Texten hat der Journalist sich auch der »Kriminalistik in Washington« gewidmet. Darin befasst er sich mit dem »Big Game«, der Überwachung und Bespitzelung.   »Das Ministerium des Äußeren ist einer von den Bankhaltern des Großen Spiels und opfert dafür jährlich den Betrag von hunderttausend Dollar, die es niemandem verrechnet. Aber wir wollen hoffen, daß dieser Fond in wichtigen Fällen erhöht und überschritten wird, denn sein Zweck ist wichtig.«  

Und dann zitiert der »rasende Reporter« ein Dokument, das ihm damals in Washington offiziell zur Verfügung gestellt worden ist: »The contingent fund is used for the purpose of anabling the Department of State to keep a close watch on affairs in other nations, in order that the United States may at all times be apprised of any foreign develeopments which might affect ist interests.« Das bedeutet in aller Offenheit: Das Außenministerium unterhält einen Sonderfonds mit dem Zweck, alle Staaten auszuspionieren, damit die USA zu jeder Zeit über jegliche ausländische Entwicklung informiert sind, die ihre Interessen berühren könnten.  Kischs Kommentar dazu: »Da von den Einnahmen der Vereinigten Staaten mehr als ein Drittel in Armee und Flotte investiert werden, kann man sich ausmalen, was hier für Spionage – Verzeihung, für Evidenzhaltung von Nachrichten – ausgegeben wird.« Das war vor mehr als achtzig Jahren.  Das Buch »Egon Erwin Kisch erlaubt sich darzubieten: Paradies Amerika« ist im Jahre 1930 im Verlag Erich Reiss, Berlin, erschienen. Mindestens seitdem ist also öffentlich bekannt, dass es zur Staatsdoktrin der USA gehört, überall in der Welt zu spionieren. Nur Frau Merkel will davon nichts gewusst haben.    Klaus Haupt war lange Jahre Auslandskorrespondent des »Neuen Deutschland« und ist ausgewiesener Kisch-Experte.

Allein das Wort bringt Wolfgang Bosbach, den Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses in Rage. »Was heißt jetzt gigantisch?«, fragte er gestern im »Deutschlandfunk«. Es ginge doch wohl um die Frage, »in welcher Art, Umfang und Intensität findet die Auslandsaufklärung statt - nicht nur, aber was uns in besonderer Weise interessiert - zu Lasten deutscher Grundrechtsträger.« Und so fragte der langgediente Innenpolitiker der Union weiter: Werden neben den sogenannten Metadaten auch Kommunikationsinhalte erfasst und werden die gespeichert, auch wenn sie keine Sicherheitsrelevanz haben?

So wie viele treue USA-Freunde scheint Bosbach tief getroffen von der Art und Weise, wie willkürlich man in Washington die viel gerühmte transatlantische Partnerschaft ausgestaltet. »So geht man doch unter Partnern, unter befreundeten Nationen nicht miteinander um. Wir betonen immer wieder, die NATO ist mehr als eine Verteidigungsgemeinschaft, sie ist eine Wertegemeinschaft, und das gilt für die Europäische Union auch.« Und zu diesen Werten, so Bosbach, »muss doch ganz an der Spitze die Wahrung der Bürgerrechte gehören, der Freiheitsrechte gehören«.

Der Chef des Innenausschusses dämpft Hoffnungen auf eine schnelle Aufklärung durch die Freunde aus USA. Der Besuch von Bundesminister Friedrich sei wohl erst der Anfang von »sehr zähen Verhandlungen« gewesen.

Bei alledem geht fast unter, dass deutsche Geheimdienste offenkundig mehrfach profitiert haben von der ungezügelten Spitzellust der US-Partner. Wer Nachrichten bezieht, muss auch Nachrichten anbieten. Anders läuft es nicht auf dem internationalen Markt der Dienste. Gibt es da eine Art Arbeitsteilung, mit der nationale Gesetze umgangen werden? Gleichfalls ins Hintertreffen gerät die Aufmerksamkeit für jene Operationen, die der Bundesnachrichtendienst »am Laufen hat«. Tag und Nacht werden Nachrichtenverbindungen belauscht, und wenn einer von 1600 sicherheitsrelevanten Schlüsselbegriffen auftaucht, wandert die Nachricht in den Speicher des BND. Ganz legal.

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